Kurz vor 6 Uhr Früh. Noch eine halbe Stunde bis zur Ankunft in Wladiwostok. Als es zu dämmern beginnt bemerke ich, dass wir mit dem Zug bereits die Küste entlang fahren. Ich öffne das Fenster einen kleinen Spalt und kann den würzigen Duft des Meeres riechen. Es ist wärmer geworden, viel wärmer als noch vor wenigen Stunden. Ich packe die Fleecejacke wieder ein. Endlich höhere Temperaturen als in den letzten Tage im Herzen Russlands.
Es wird langsam heller. Erste Schiffe sind zu sehen. Häuser auf Hügeln. Von Minute zu Minute kann ich mehr Details erkennen. Wladiwostok. Ein Kindheitstraum, unendlich weit weg. Das Ende der Transsibirischen Eisenbahn. Auch so weit weg. Mit dem Zug quer durch Sibirien. 9.288 Kilometer von Moskau entfernt – quer durch Russland. Nur etwas für Abenteurer, das machen nur wenige. Wurde in der Schule erzählt.
Und nun stehe ich hier und sehe die letzten Kilometer aus dem Fenster eben dieser “unwegsamen” Transsibirischen Eisenbahn. Ist das nun das Ende des Abenteuers? Noch längere Zugfahrten gibt es nicht. Auch längere, durchgehende Eisenbahnstrecken gibt es keine auf der Welt. Wladiwostok ist das Ende.
Oder ist es ein Anfang? Ist es vielleicht schon längst nicht mehr die Transsibirische Eisenbahn, die mich nach Russland zog? Machen nicht die Bekanntschaften und Erlebnisse das Reiseabenteuer aus? Sieben Tage dauert die durchgängige Fahrt von Moskau nach Wladiwostok. Sie wäre aber nur halb so interessant, würde man sie “in einem Zug” alleine im Abteil durchfahren.
Aussteigen, die Menschen und Umgebung erleben. Wie sich alles verändert. Den Menschen wird in einem so großen Land wie Russland ein “alle gleich” Stempel aufgedrückt. Es sind “die Russen” die hier wohnen. Doch ist “der Russe” in Moskau gleich wie “der Russe” im 9.200 Kilometer entfernten Wladiwostok? Wohl kaum. Nicht zu vergessen auch die verschiedenen Minderheiten und ihr unterschiedlicher Geschichtshintergrund zur historisch russischen Bevölkerung. In Sibirien leben u.a. die Ewenken, Jakuten oder Burjaten. Andere Bräuche, anderer kultureller Hintergrund und häufig Unterdrückung prägen ihre Geschichte.
Die Eisenbahn ist ein schönes Bindeglied. Nirgends auf der Welt ist man so lange Zeit mit fremden Menschen gemeinsam in einem Zugabteil unterwegs wie in Russland. Die Größe des Landes macht es möglich und auch notwendig. In dieser Zeit lernt man die Mitreisenden und ihre Kultur ein bisschen kennen. Man muß miteinander auskommen. Oder besser gesagt: Man darf sich darüber freuen miteinander auskommen zu müssen.
In Russland sind die Menschen auf gemeinsame Bahnreisen gut vorbereitet. Es herrschen in diesem Land viele spezielle Sitten auf Zugreisen – von den Essgewohnheiten bis hin zum bequemen Jogginganzug, der in den ersten Minuten der Reise angezogen wird. Man richtet sich bequem ein und reist in gemütlichen Tempo durch dieses Land. Zeit scheint plötzlich dehnbar, das ständige Stellen der Uhr nach den durchfahrenen Zeitzonen trägt sein übriges dazu bei.
6:23 Uhr. Wladiwostok – russisch: Beherrsche den Osten.
Auf Besichtigungstour
Den ganzen Tag wird erkundet, welche Sehenswürdigkeiten Wladiwostok zu bieten hat. Unter anderem gehört zu den schönsten Plätzen dieser Stadt auch die Strandpormenade. An heißen Tagen – wie heute – entsteht hier eine überraschend mediterrane Stimmung, die man an einem Ort wie Wladiwostok nicht vermuten würde. Um 16 Uhr wird von mir fleißig fotografiert – auf dem “16-Uhr-Blick-in-die-Welt-Foto” ist heute die Promenade und der Strand von Wladiwostok zu sehen.
Aktueller Stand um 16 Uhr:
Ort: Wladiwostok, Fernost, 9.288 Kilometer von Moskau
Land: Russland
Wetter: heiß und sonnig, über 30 Grad.
Zeitverschiebung:
Zur Mitteleuropäischen Sommerzeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz beträgt der Zeitunterschied + 9 Stunden. Steht in Wladiwostok die Uhr auf 16 Uhr ist es in Mitteleuropa erst 7 Uhr.
Die kommende Nacht werde ich hier verbringen:
Im Vladivostok Hostel*, dem wahrscheinlich kleinsten Hostel der Welt: 1 Zimmer mit einem Bett. Familienanschluß inklusive.
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