„Auf 122 Kilometern durch 55 Tunnels und über 196 Brücken: Die Albula/Berninalinie der Rhätischen Bahn ist ein Meisterwerk der Ingenieurskunst.“ So steht es in der Bernina Express Broschüre, die mit meinem Ticket mitgesandt wurde.
Die Vorfreude steigert sich beim Durchblättern des bunten Prospekts weiter und wird nur noch von einem übertroffen: Von der „realen“ Fahrt durch die Schweizer Berge bis ins italienische Tirano.
Ein Reisebericht von einer abwechslungsreichen Bahnreise durch den Herbst im Bernina Express.
Langsam gewinnt der Bernina Express an Höhe. Den Abfahrtsbahnhof Chur haben wir schon längst hinter uns gelassen. Auch Thusis und Tiefencastel. Die Morgensonne lugt schon an manchen Stellen über die Berggipfel und bringt den Raureif auf den Wiesen und die letzten, bunten Blätter auf den Bäumen zum schimmern.
Es geht ständig bergauf und in der Nähe des Landwasser-Viadukts knacken wir die 1.000 Meter Seehöhe-Marke. Die Strecke führt am Viadukt in einem weiten Bogen über das Tal bevor sie dann in der Steilwand verschwindet. Das spektakuläre Bild kennt wohl jeder, der gerne reist und zumindest schon einmal ein Reiseprospekt von der Schweiz in der Hand hielt.
Aber… ist da auf den Bildern nicht oft ein anderer Name am Zug zu lesen? Richtig! Der Glacier Express. Auf der Albula-Strecke verkehren nämlich beide berühmten Züge.
Der Bernina Express fährt täglich von Chur über die die Albulastrecke bis Semedan und Pontresina und dann auf der Berninabahn weiter bis nach Tirano in Italien. Manche Züge starten bereits in Landquart. Beide Strecken wurden 2009 in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes aufgenommen.
Zwischen Bergün und Preda muss der Bernina Express einen Höhenunterschied von 416 Metern bewältigen. Es wirkt ein bisschen wie eine Modellbahn, wenn die Strecke abwechselnd durch Kehrtunnels, über Brücken und durch enge Kehrschleifen führt, um an Höhe zu gewinnen. Immer wieder kreuzen die Gleise die zuvor befahrene Strecke und fügen sich dann wieder harmonisch in die Landschaft ein. Das skurrile daran ist, dass ich in dieser vermeintlichen „Modellbahn“ sitze.
In 1.789 Meter Seehöhe haben die Viadukte und Tunnels der Albulastrecke vorerst ein Ende. Nun muss der Bernina Express nur noch den fast 6 Kilometer langen Albula Tunnel passieren, dann erreichen wir das Engadin.
Es ist eines der höchstgelegenen, bewohnten Täler Europas. Der Baustil und die Sprache ändern sich und die Bahnreise führt durch ein weites Tal. So mancher Ortsname ist gewöhnungsbedürftig und wird anders ausgesprochen als geschrieben. Samedan oder Punt Muragl, zum Beispiel. In dieser Gegend überquert die Bahn auch den noch jungen Inn.
In Pontresina ist dann ein Lokwechsel notwendig, da hier zwei verschiedene Stromsysteme aufeinander treffen. Im Stammnetz der Rhätischen Bahn fließt 11 Kilovolt Wechselstrom mit 16,7 Herz durch die Leitungen. Auf der Bernina Bahn fahren die Züge mit 1000 Volt Gleichstrom. Mittlerweile gibt es auch Züge mit modernen Mehrfrequenz-Triebwagen an der Spitze bei denen kein Lokwechsel mehr notwendig ist.
Gleich nach dem Bahnhof steigt die Strecke wieder an. Wir verlassen das Tal, die Bahn windet sich in engen Kurven durch den Wald. Nach weniger als zehn Kilometern fährt der Zug schon auf über 2.000 Metern Seehöhe.
Die Landschaft hat sich schlagartig verändert, wir haben die Baumgrenze hinter uns gelassen. „Voriges Jahr hatten wir hier im November über einen Meter Schnee“ erzählt mir der Zugbegleiter.
Meine Reise mit dem Bernina Express durch den Herbst präsentiert sich etwas anders. Mitte November ist es ungewöhnlich warm, auch am höchsten Punkt der Bahn liegen nur Schneereste. Dafür scheint die Sonne und der blaue Himmel strahlt mit den Gletschern um die Wette.
Die Seilbahnen hier haben Bahnanschluss und führen hinauf zur Bernina Diavolezza und Piz Lagalb, dort oben liegt das ganze Jahr Schnee.
Eine Herbstreise mit dem Bernina Express ist eine Reise mit Überraschungen. Heute ist das Wetter noch trocken, am nächsten Tag kann hier die ganze Landschaft schon weiß „angezuckert“ oder tief verschneit sein. Meine Reise führt durch eine Landschaft der Kontraste. Seen, Gletscher, Almwiesen und steile Hänge.
Die großen Fenster im Panoramawagen bieten einen tollen Blick auf die beeindruckende Landschaft. Der Zug fährt am Ufer des Lej Nair und Lago Bianco entlang. Dort, wo das rätoromanische „Lej“ zum italienischen „Lago“ wird ist die Wasserscheide zwischen Donau und Po.
„Ospizio Bernina“ ist der höchste Bahnhof der Bernina Strecke, 2.253 Meter über dem Meer. Damit ist die Bernina Bahn die höchste Alpenquerung auf Schienen.
Wie muss es hier wohl aussehen, wenn alles verschneit ist? Ein Reisebericht von einer stürmischen Winterreise muss aufregend zu lesen sein. Jetzt, bei Sonnenschein, wirken die Galerien etwas überdimensioniert und nutzlos. Aber wenn der Schneesturm tobt halten sie den Bahnverkehr aufrecht.
Zahlreiche Galerien schützen ab dem Scheitelpunkt die Berninastrecke Richtung Süden. Auf den faszinierenden Blick auf die umliegenden Berge und ins Tal muss man trotzdem nicht verzichten.
Mit einem engen Bogen beim Bahnhof Alp Grüm beginnt der steile Abstieg der Berninabahn. Sie gilt als höchste Adhäsionsbahn der Alpen, die Meterspurstrecke überwindet Neigungen von bis zu 70 ‰ ohne Zahnstange.
Von hier sind es wenige als 40 Minuten Fahrzeit bis ins Tal, nach Poschiavo. In dieser Zeit muss der Zug über 1.000 Höhenmeter überwinden. Bald ist wieder die Baumgrenze erreicht und der Bernina Express fährt durch Tunnels, Schleifen und über Brücken bis die ersten Orte zu sehen sind.
Schafe grasen kurz vor Poschiavo und ich habe den Eindruck, dass hier das Gras noch richtig saftig-grün ist. Ob das schon der mediterrane Einfluss ist?
Jedenfalls haben die Ortsnamen schon einen ziemlich italienischen Einschlag und die Bauweise mancher Gebäude erinnert mich an die südlichen Nachbarn.
Nach Posciavo führt die Bahn durch Orte wie Sant‘ Antonio und Le Prese wie eine Straßenbahn. Die Bahn hat in den engen Straßen Vorrang.
Beim Puschlaver See führt die Bahnstrecke parallel zur alten Straße das Ufer entlang. Dann muss der Bernina Express die letzte größere Steigung überwinden.
Der Kreisviadukt in Brusio ist das Wahrzeichen der Bernina Bahn. Hier fährt der Zug, sinnbildlich gesprochen, einmal im Kreis, um den Höhenunterschied zu überwinden.
Zwei Kilometer weiter erreicht der Zug den letzten Bahnhof in der Schweiz: Campocologno. Kurz nach der Staatsgrenze ist schon der Blick auf Tirano frei. Sobald der Zug die letzte Steigung überwunden hat, erreicht er die Stadt.
Jetzt fühlt sich die Gegend nicht nur „irgendwie italienisch“ an, wie in Poschiavo, jetzt bin ich tatsächlich in Italien. Wie bei einer Sightseeing-Tour fährt der Zug quer über die Piazza Basilica und an der Wallfahrtskirche “Madonna di Tirano” vorbei. Das ist schon ein besonderer Anblick, den man kurz vor dem Ziel nicht versäumen sollte.
In Tirano ist die Endstation des Bernina Express und der Rhätischen Bahn. Mit rund vier Stunden Fahrzeit ist es bestimmt nicht der schnellste Weg, aber ganz bestimmt eine der beeindruckendsten Möglichkeiten, um von den Schweizer Gletschern ins mediterrane Italien zu reisen. Es ist eine der abwechslungsreichsten Bahnstrecken, die ich bisher bereiste.
Die Fahrt hat zu jeder Jahreszeit ihren Reiz. Bei einer Herbstreise im Bernina Express können sich die spannenden Eindrücke innerhalb eines Tages völlig ändern.
Mehr Reiseeindrücke und Tipps vom Bernina Express:
- In einem Video kannst Du die Fahrt im Bernina Express von Pontresina nach Poschiavo im Führerstand erleben.
- Tickets und aktuelle Streckeninformationen findest Du direkt bei der Rhätischen Bahn.
- Aktionen und Kombi-Tickets mit Ausflügen und Seilbahnen findest Du u.a. bei diesem Anbieter*.
- Das Interrail-Ticket ist beim Bernina Express bzw. in den Zügen der Rhätischen Bahn gültig. Der Interrail Global Pass* ist für Dich eine interessant Option, wenn Du z.B. von Tirano in Italien weiter reisen möchtest. Es ist auch ein Country Pass nur für die Schweiz erhältlich. Interrail Pässe gelten unabhängig vom Alter. Für Kinder, Jugendliche und Senioren sind ermäßigte Pässe erhältlich. Beachte, dass für den Bernina Express gebührenpflichtige Reservierungen und Zuschlag extra zu bezahlen sind.
Die Erfahrungen, Tipps und Hintergrundinformationen in diesem Beitrag über die Rhätische Bahn im Herbst wurden im Rahmen einer individuellen Pressereise auf Einladung von der Rhätischen Bahn recherchiert. Das Zugticket wurde vom Bahnunternehmen gestellt. Wie immer bleibt meine Meinung in der Berichterstattung davon unberührt.
peter hermanns says
einfach allerhöchste spitze, ich bin ein flachlandtiroler aus krefeld am niederrhein.
natürlich sieht man beim fahrer viel mehr, zweimal war ich in tirano und dreimal in
zermatt, wenn ich noch könnte (82j) würde ich nochmals kommen. dankt dem lieben gott,
dass ihr schon im paradies seid!
Andreas says
Hallo Gerhard,
Dein Text und die Bilder motivieren mich. Eine Fahrt mit der Rhätische Bahn ist ein schöner Erlebnis. Wir machten die Fahrt im Frühling. In Chur blühten schon die Obstbäume und am Berninapass lag noch Schnee, dann ging wieder hinunter bis nach Poschiavo. In Tirana saßen wir unter Fächerpalmen und schleckten Eis am Stiel. Ich machte bereits mehrer Fahrten mit der Rhätischen Bahn und war jedesmal voll begeistert. Die schöne Landschaft, der Blick aus dem Zug das freundliche Zugpersonal machten das Reiseerlebnis perfekt. Gruß Andreas