Es gibt ein Virus, das mich vor einigen Jahren infiziert hat. Völlig unerwartet hat es sich eingeschlichen und lässt mich nicht mehr los. Es löst kribbeln im Bauch aus, wohlige Anspannung und auch ein bisschen Unruhe.
Erst wenn ich dem “Ruf der Freiheit” folge kann ich die Symptome wieder etwas abschwächen und mit einer monatelangen Reise durch die Welt den Reisevirus besänftigen.
Einige Leser kennen meine ersten Blogposts aus dem Jahr 2009. Damals unternahm ich die erste „große Reise“ mit der Eisenbahn: Die Transsibirische Eisenbahn brachte mich von Europa nach Peking.
Am Ende dieser Reise war mir klar, dass ich noch länger und weiter reisen möchte. Lange unterwegs zu sein und dieses Freiheitsgefühl zu spüren ist wie eine Droge. Und so kam es wie es kommen musste. Ich kündigte meinen Managerjob, sperrte die Wohnung hinter mir zu, gab dem Fernweh nach und machte mich auf eine lange Reise am Landweg bis nach Thailand.
Dem Fernweh nachgeben und Freiheit genießen
Seit dieser achtmonatigen Reise durch Asien überkommt mich regelmäßig das Fernweh-Gefühl und ich möchte ein, zwei, drei Monate am Stück unterwegs zu sein. Die Freiheit spüren, fremde Menschen kennen lernen und in ihre Kultur eintauchen.
Besonders gut klappt es für mich dem Fernweh bei einer Bahnreise nachzugeben. Ich mag dieses kribbelnde Gefühl im Bauch, wenn ich mit dem Rucksack in den Zug steige und nicht weiß, was mich die kommenden Tage oder Wochen erwartet. Bei diesen Reisen gibt es einige Herausforderungen zu meistern.
Am liebsten reise ich dort mit dem Zug, wo man Veränderungen hautnah spüren kann. Die Sprache im Zug verändert sich, im Speisewagen werden nicht mehr Wienerschnitzel sondern Borschtsch und Soljanka oder asiatische Gerichte serviert.
Der Weg ist das Ziel, wenn die Räder immer im gleichen Takt über den Schienenstoß springen. Wenn scheinbar endlos Zeit für Begegnungen im Zugabteil ist und sich die Reisenden mit „Händen und Füßen“ verständigen. Es scheint hier eine Faustregel zu geben: Je langsamer der Zug fährt umso abenteuerlicher ist das Reiseerlebnis.
In den Hochgeschwindigkeitszügen wird hingegen viel Reisegefühl gefiltert. Man spürt im klimatisierten Abteil weder die extreme Geschwindigkeit, noch den Temperaturwechsel draußen. Sogar die Wahrnehmung der Umgebung wird durch die getönten Fenster verändert.
Veränderungen spüren
Dabei gibt es nichts Schöneres als das Zugfenster zu öffnen und die Nase in den Fahrtwind zu stecken. Im Frühling riecht es bei einer Reise durch die Alpen frisch und die Sonne wärmt sanft die Haut.
Im Sommer haben die gemähten Wiesen in Rumänien einen würzigen Duft, der Herbst taucht die Landschaft in Montenegro in bunte Farben und im Winter ist es in Sibirien besser, man steckt die Nase nicht aus dem Fenster. Die würde bei Temperaturen von -30 Grad und weniger in wenigen Sekunden einfrieren.
Das russische Wintermärchen betrachte ich dann lieber wohlig warm eingepackt durch die Fensterscheibe. Der Ofen knistert im Eingangsbereich des Waggons und der Geruch der verbrannten Kohle weckt in mir nostalgische Gefühle.
Irgendwann haben scheinbar endlose Bahnreisen auch ihre Grenzen, auch wenn man wirklich weit fährt. Erst führt die Reise durch Osteuropa, dann folgt eine gefühlt endloser Trip durch Russland und die Mongolei.
Acht Tage dauert die Bahnfahrt von Österreich nach China, in zehn Tagen hält der Zug in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi und am 12. Tag stehen Reisende schon an der Grenze zu Kambodscha. Weiter kann man derzeit von Europa aus mit dem Zug nicht reisen. Dem Fernweh tut das trotzdem keinen Abbruch.
Bei Bahnreisen ist für mich oft der Weg das Ziel. Eine Reise, bei der man die Veränderungen spürt, oft hautnah am Leben der anderen teilnimmt und sich mit den Gegebenheiten vor Ort arrangieren muss. Das macht für mich diese Art zu reisen aus.
Wenn man stundenlang in einen indischen Waggon hineingepfercht ist, die Knoblauchfahne des Nachbarn im Nacken hat und den neugierigen Fragen der anderen Fahrgäste nicht auskommt ist das nicht die bequemste Art zu reisen, aber es gibt wohl kein intensiveres Reiseerlebnis.
Kurz vor der Ankunft macht sich dann dieses Kribbeln im Bauch breit. Was wird mich am Ziel wohl erwarten? Die Eisenbahn ist das Verkehrsmittel, mit dem ich gerne reise. Aber beim Aussteigen freue ich mich dann in eine unbekannte Welt einzutauchen und sie mit allen Sinnen zu spüren.
tonari says
Oh, ja. *tiefer Seufzer* Das Gefühl kenne ich auch. Sehr sogar. Ziemlich regelmäßig leide ich unter Schüben des Fernwehs und der Reiselust.
(Allerdings bevorzuge ich – vermutlich altersbedingt – inzwischen eine andere Art des Reisens.
Selbstbestimmt mit dem Auto unterwegs zu sein, kann auch sehr reizvoll sein. )
Aber ich begleite Dich hier auf dem Blog sehr, sehr gerne bei Deinen Abenteuern. Insofern hoffe ich, dass es mit dem Virus bei Dir so bleibt ;-)
Anja says
Danke für dein tollen Artikel, man hat das Gefühl als wäre man dabei. Da bekommt man richtig Lust zu reisen. Leider ergeben sich bei mir solsche Gelegenheiten nicht so oft.
LG
Anja
Alex says
Ich reise seit Jahren um die Welt. Aber bei solchen Bildern….
Andersreisender says
– Tonari: Fernweh kann man ja auf unterschiedliche Art und Weise ausleben. Da hat jedeR andere Bedürfnisse. Und die verändern sich mit der Zeit auch ständig. Hauptsache, der Virus darf einen gelegentlich befallen. Und dann darf man sich darum kümmern, frei nach dem Motto “Fernweh! Was tun!?”
– Anja: Ich freue mich, dass Dir die Beiträge gefallen. Die Gelegenheiten für weite Reisen muss man, wenn sich’s ergibt, dann am Schopf packen.
– Alex: …sich einfach dem Fernweh hingeben. ;-)
Anja says
@Andersreisender :
Da gebe ich dir vollkommen Recht, werde ich auch ganz bestimmt machen. Und bis sich die Gelegenheit ergibt, hab ich ja deine tollen Beiträge und die schönen Bilder ;-)
Marcel says
Hallo Andersreisender,
Ein sehr schöner Beitrag. Da bekomme ich auch schon wieder Fernweh. Es freut mich zudem sehr, dass Du so gerne mit dem Zug reist. Es ist einfach die mit Abstand schönste und intensivste Art zu reisen. Mittlerweile kann ich auf viele Bahnkilometer zurückblicken. Aber ich stelle gerade wieder fest, dass mir noch einige tolle Bahnstrecken fehlen. Die Nilgiri Mountain Railway zum Beispiel. Daher wird es wieder Zeit, auf die nächste große Bahnreise zu gehen.
Andersreisender says
– Marcel: Bahnreisen lösen bei mir immer Fernweh aus. Aktuell bin ich in der Schweiz unterwegs, mit dem Bernina Express. Morgen geht’s dann weiter nach Vendig. :-)
Marcel says
@Andersreisender:
Deine Fahrt mit dem Bernina Express war bestimmt grandios. Da hätte ich auch schon wieder große Lust zu, diese wunderbare Bahnfahrt zu unternehmen. Dir noch viel Spaß und tolle Eindrücke auf Deiner weiteren Reise nun durch Italien.
Andersreisender says
Marcel: Absolut! Beitrag folgt in den kommenden Tagen. Wenn ich die Fahrt heute unternommen hätte wäre die Landschaft bestimmt komplett weiß gewesen. :-)