In Flandern hat Radfahren fast das ganze Jahr Saison. Wer dort, wo die Flandern-Rundfahrt jedes Jahr über eine Million Menschen anzieht, wie ein “echter Flandrien” unterwegs sein möchte schwingt sich aufs Rennrad.
Die leichten Räder mit den schmalen Reifen sind bei Profis und “normalen” Freizeitsportlern beliebt. Die sanfte Hügellandschaft scheint für mich auf den ersten Blick keine besondere Herausforderung zu bieten. Aus der Nähe betrachtet wäre mehr körperliche Kondition doch von Vorteil. Die „Bergs & Cobbles“ machen das Rennradfahren in Flandern für passionierte Radsportler und auch für mich als Rennrad-Laien zum einmaligen Reiseerlebnis.
Der Name kam mir doch gleich so bekannt vor. Kwaremont. Am Vorabend hatte ich diese Bezeichnung noch auf dem Bierglas gelesen – heute schwitze ich die Flüssigkeit wieder am gleichnamigen Berg raus. Pflasterstein für Pflasterstein überwinde ich mit dem Rennrad den Berg hinauf.
Was heißt Berg – ich komme aus den Alpen. Bei uns würden wir den Kwaremont maximal als “sanftes Hügerl” bezeichnet. Was aus der Ferne absolut unspektakulär aussieht hat es beim Befahren mit dem Fahrrad in sich.
Das grobe Straßenpflaster raubt mir die Kräfte, obwohl ich brav die Profi-Tipps befolge. “Wenn Du über das Kopfsteinpflaster fährst, dann mit hoher oder niedriger Geschwindigkeit”, instruierte mich Ewoud. Er kennt die Gegend wie seine Westentasche und zeigt mir einen Tag lang die Highlights der Flandern-Rundfahrt. “Bei mittlerer Geschwindigkeit fühlst Du das Pflaster am stärksten”.
Ich habe mich für den langsamen Aufstieg entschieden und holpere im Schritttempo über das Kopfsteinpflaster. Auch den Luftdruck haben wir in unseren schmalen Rennradreifen reduziert. Außerdem nütze ich jene Bereiche mit dem besten Straßenzustand um gut voran zu kommen.
“Oben, bei D‘ Oude Hoeve, schenken sie Kwaremont Bier aus” spornt mich Ewoud an. Ich denke an die Reklame, auf einem Schwarz-Weiß Foto genießen Rennradfahrer ihr Bier. Die sehen überhaupt nicht verschwitzt und abgekämpft aus.
Auch ernstzunehmende Sportler kämpfen mit dem holprigen Untergrund, das ist für mich ein kleiner Trost. Ich bin ja ohne Kondition ins „private Rennen“ gegangen, ohne jegliche Vorbereitung. Ich wollte einfach einmal wissen wie es sich anfühlt, als Radsport-Laie wie ein “echter Flandrien” unterwegs zu sein. Vom unerschütterlichen Rennfahrertyp, der den Konkurrenten das Fürchten lernt, sind meinen sportlichen Leistungen weit entfernt.
Aber Flandern ist auch ein beliebtes Ziel für Freizeitradler. Rennräder bieten sich für ein authentisches Erlebnis an. Rennradfahren ist in Flandern Volkssport Nummer eins.
Jedes Frühjahr kommen über eine Million Zuschauer um die Flandern-Rundfahrt live vor Ort zu sehen. Was in einem Rennradfahrer vor sich geht, wenn er sich berühmte Hügel wie Paterberg, Koppenberg oder den Oude Kwaremont hinaufquält, kann ich mir als ungeübter Freizeitsportler nur ansatzweise vorstellen. An den „Hellingen“ entscheiden sich die Rennen.
Die Anstiege sind kurz und steil und oft gepflastert. Mit 11,6 % maximaler Steigung ist der Kwaremont noch einer der harmlosesten Berge.
Das hat mir Ewoud gottseidank zu Beginn unserer Tour verschwiegen. Oben am Kwaremont schwitzend angekommen machen wir eine kurze Rast und ich habe endlich Gelegenheit den weiten Blick über das Land zu genießen.
Der Oude Kwaremont, mein erster Berg in Flandern, ist bezwungen. Nun führt meine persönliche Flandern-Rundfahrt entlang der Ronde van Vlaanderenstraat auf Asphalt weiter. Hier sind die Flandrien, die Champions, verewigt. Seit über 100 Jahren wird die Flandern-Rundfahrt jährlich ausgetragen, nur während des 1. Weltkriegs wurde pausiert.
Kurze Zeit nach dem Walk of Fame des Radsports führt unsere Rennradtour auf asphaltierten Straßen und Feldwege bergab, damit ich mich dann wenige Minuten später den Paterberg wieder hinaufquälen darf.
Natürlich beginnt genau beim Anstieg wieder das Kopfsteinpflaster und bremst meine flotte Fahrt schnell ab. Langsam holpere ich bergauf, die Vibration jedes einzelnen Pflastersteins setzt sich über das ungefederte Rennrad bis in die Haarspitze fort. Im Durchschnitt beträgt hier die Steigung 12,9 %, die größte Steigung beträgt 20,3 %. Bei solchen Werten verlässt mich spätestens ab der Hälfte die Kraft, ich lege kurzerhand einen Fotostopp ein.
Charakteristisch für den Paterberg ist der Zaun mit den länglichen Quadraten entlang der Strecke. Unverkennbar. Und ohne Training für mich definitiv unbezwingbar. Den letzten Teil der Strecke schiebe ich das Rennrad hinauf, während Ewoud mich mit Schwung überholt.
Man müsste sich beim Rennradfahren in Flandern ja nicht so quälen. Es gibt auch schöne, flache Radwege. Die verschiedenen Radtouren sind ausgeschildert und mit Nummern gekennzeichnet. Es sind auch viele gemütliche Radrunden dabei.
Aber das Kopfsteinpflaster und die berühmten Berge der Flandern-Rundfahrt gehören einfach zu den “Must do’s” bei einem Radurlaub in Flandern. Die „Bergs and Cobbles“ sind überall präsent.
Darum bereitet mich Ewoud auch schon seelisch auf den dritten Berg vor: “Der Koppenberg ist im Durchschnitt nicht so steil wie der Paterberg, hat es aber mit 19,4 % Steigung trotzdem in sich.” Schöne Aussichten. Ehe ich es mich versehe bin ich schon wieder auf Kopfsteinpflaster am Weg nach oben.
Jeder Berg hat seinen eigenen Charakter. Der schmale Weg führt durch den Wald. Bei Nässe verwandelt sich das Kopfsteinpflaster am Koppenberg in eine Rutschbahn, hier entstehen auch viele der spektakulären Bilder von der Flandern-Rundfahrt.
Ich bin froh, dass ich mit normalen Turnschuhen fahre. Nach einem Stopp auf der steilen Straße haben ungeübte Fahrer mit Klickpedalen keine Chance wieder in die Pedale zu kommen. Ich lege das letzte Stück des Anstiegs zu Fuß zurück. Nur wegen der Fotos, versteht sich. ;-)
Das Ziel unserer Rennradtour ist Oudenaarde. Die Kleinstadt ist einer der idealen Ausgangspunkte für Radsportler und auch in den letzten Jahren Ziel der Flandern-Rundfahrt.
Außerdem kann man hier im Flandern-Rundfahrt Museum viel Interessantes über den Radsport entdecken. Beim Rundgang im “Tour of Flanders Centre” werden die Erlebnisse auf Kwaremont, Paterberg und Koppenberg noch einmal lebendig.
Die Bilder von diesen Orten gehen Jahr für Jahr in den Medien um die Welt und flimmern täglich im Museum auf der Leinwand. Die Fahrer treiben ihre Rennräder den Berg hinauf. Sie haben sich, im Gegensatz zu mir, für die schnelle Variante entschieden, um die “Bergs und Cobbels” zu bezwingen. Ich bin von der Leistung der Radsportler beeindruckt und auch gar nicht traurig, dass ich an den Hügelchen kläglich gescheitert bin.
Spaß hat es trotzdem gemacht einen Tag wie die “echten Flandrien” zu erleben. Ich mag es neues und mir unbekanntes auf Reisen auszuprobieren. Es war für mich als Rennsport-Laie ein erlebnisreicher Tag am Rennrad und ein absolut einmaliges Reiseerlebnis. Hinternweh inklusive.
Tipps Rennradfahren in Flandern – einen Tag wie ein echter Flandrien:
- Radrouten sind mit Nummern gekennzeichnet. Hier findest Du Routen und Tools für die Tourplanung.
- Rennräder mieten kann man in Oudenaarde, wahlweise mit Click-Pedalen oder normalen Pedalen.
- Im Tour of Flanders Centre in Oudenaarde werden viele interessante Hintergrund-Informationen über die Flandern-Rundfahrt gezeigt. Außerdem gibt’s dort auch das passende Trikot für eine “echte Flandrien” Tour.
- Die Flandern-Rundfahrt („De ronde van Vlaanderen“) findet jährlich Anfang April statt. Am Tag vor der Flandernrundfahrt können auch Hobbysportler die Route kennen lernen.
- Rennradfahren in Flandern ist nach kurzer Eingewöhnungsphase auch für Laine problemlos möglich.
Dankeschön an Visit Flanders für die Einladung und das Organisieren der individuellen Pressereise nach Flandern. Das Raddress wurde von Flanders Classics zur Verfügung gestellt. Wie immer bleibt die Meinung in den Blogbeiträgen davon unberührt.
Alex says
Unsere zukünftigen Tour de France Gewinner hier! :D
Dass die Kopfsteinpflaster bös in die Kondition gehen und die Arme glaube ich dir gerne. Aber wer am Vortag Bierchen verdrücken kann, meistert doch auch solch eine Rundfahrt! ;)
Jedenfalls ob Flandern oder sonstige Ecken in Belgien oder Holland… mehr als “Hügerl” gibt es da wohl nicht zu meistern und daher wundert es einen auch nicht, dass soviele Radfahrer unterwegs sind.
Allzeit gute Fahrt!
Brigitte says
Interessante Geschichte! Ich finde ja, dass man auf dem Drahtesel eine Region super gut erkunden kann. Man kommt gar nicht mal so langsam voran und kann doch bequem überall anhalten und sich umschauen oder Abstecher machen. Ich bevorzuge allerdings eher ein gemütliches Rad anstelle des Rennrads. Aber auch damit ist man ja in Flandern gut aufgehoben! Lg, Brigitte
Andersreisender says
– Alex: Yeah! Tour de France und Flandern Rundfahrt Gewinner – das wäre was! Ob man da lange trainieren muss? ;-) Jedenfalls drückt es die Kondition beim Rennradfahren, wenn man am Vortag Bier trinkt. Der Gerstensaft will da natürlich vorsichtig eingesetzt werden. Jedenfalls ist für Rennradfahren Flandern ein schönes Fleckchen. Ich möchte die gemeinsame Tour mit Ewoud nicht missen.
– Brigitte: Stimmt – für Flandern muss es nicht unbedingt das Rennrad sein. Hier kann man auch gemütlich mit einem “Hollandrad” das Land erkunden. Außerdem stelle ich mir gerade die Frage ob die Berge mit Kopfsteinpflaster mit einem Mountainbike sogar leichter zu bezwingen sind?