Sich völlig unerwartet in einem großen Fest wiederzufinden – diese Situation kenne ich von Reisen durch Indien. Reisende sind bei Veranstaltungen und religiösen Ritualen meist Willkommen und werden zum Mitfeiern eingeladen.
Diese Situation gibt es nicht nur in Indien sondern auch in “Little India” in Singapur. Erst bin ich von Thaipusam in Singapurs Straßen fasziniert, dann werde ich zur Vorbereitung eines Gläubigen eingeladen. Viele Bilder von Taipusam inklusive.
Wem beim Anblick von durchstochenen Körperteilen schlecht wird sollte besser nicht weiterlesen. “Thaipusam” ist ein Fest der Schmerzen und Qualen zu Ehren des Hindu-Gottes Murugan.
Ursprünglich stammt die Tradition, zu Thaipusam Körperteile zu durchstoßen und damit dem Gott Murugan seine Ehre zu erweisen, aus dem Bundesstaat Tamil Nadu im Süden Indiens. Ein Großteil der Inder, die seit Generationen in Singapur leben, sind Tamilen. Auch wenn die großen Einwanderungswellen lange zurück liegen sind die religiösen Feste und Bräuche erhalten geblieben.
Little India ist das Zentrum der Inder in Singapur, die großteils aus Südindien stammen. Vor dem Srinivasa Perumal Tempel ist an diesem Tag viel los. Religiöse Feste laufen bei den Hindus meist laut und fröhlich ab.
Der Tempel spuckt im Minutentakt Grüppchen rund um eine auffällige Gestalt in ihrer Mitte aus. Ein Mann trägt einen meterhohen Aufbau auf dem häufig der Hindu-Gott Shiva zu sehen ist. Bei genauerem Hinsehen wird klar, dass der Träger in einer etwas misslichen Lage ist.
Seine Zunge ist mit einem Metallstab durchstoßen, oftmals durchsticht eine Metallstange auch beiden Wangen. Haken hängen in der Haut des Trägers und sind mit Fäden am Tragegestell befestigt. Bei jeder Bewegung ziehen die Haken an der Haut. Manche Gläubigen bei Thaipusam ziehen sogar Wagen mit den Bildnissen verschiedener Götter und Demonen hinter sich her.
Alternativ können auch Spiesse in die Haut gesteckt werden. Bei jeder Bewegung bohen sie sich ins Fleisch des Trägers. Die Gläubigen nehmen diese Qualen zu Thaipusam auf sich um den Gott Murugan zu ehren.
Einerseits wird bei Thaipusam der Geburtstag von Gott Murugan begangen. Er wird auch Subramaniam oder Skanda genannt. Murugan ist der jüngsten Sohn von Shiva und Parvati. Außerdem wird der Übergabe einer Vel, einer Lanze, von Parvati an Murugan gedacht. Damit kann er den “Dämonen” Soorapadman besiegen.
Den ganzen Tag über sind die Gläubigen am Weg durch Little India, immer wieder legen die Träger eine Tanzeinlagen ein und drehen sich schnell im Kreis.
In einem Zelt neben dem Sri Srinivasa Perumal Tempel werden die Träger vorbereitet. Im Zelt herrscht ausgelassene Stimmung, es wird getanzt und gelacht. Trommler und Lautsprecherdurchsagen machen ein Gespräch fast unmöglich.
Die Träger selbst wirken wie Ruhepole im quirligen Treiben. Sie stehen ruhig hinter Opfergaben und werden für Ihre Aufgabe vorbereitet.
Ich gerate in eine Gruppe tanzender Männer. Frauen befinden sich nur wenige im Zelt. Stolz erzählt mir ein bärtiger Inder während der kurzen Tanzpause, dass sein Bruder gerade vorbereitet wird.
Saravanan steht regungslos neben unserer Gruppe. Rund drei Stunden dauert es bis die 180 Metallspiesse am Gestänge und in seiner Haut befestigt sind. Die Spieße werden mehrere Millimeter in die Haut gebohrt, Blut fließt dabei keines.
Saravanan lässt das Befestigungsritual gelassen über sich ergehen. Er wirkt sogar eher abwesend wenn er sich mit erhobenen Händen im Metallring festhält. Manchmal verzieht er das Gesicht, wenn der nächste Spieß in seine Haut gebohrt wird.
Wochenlange Vorbereitung geht dieser Art Lord Murugan zu verehren voraus. Viele verzichten davor auf auf Alkohol, Zigaretten, Fleisch und Sex.
Die Familie feuert ihn während der Vorbereitung an, fotografiert ihn und fordert auch mich zum gemeinsamen Selfie auf. Dann wird wieder getanzt.
Die Piercer arbeiten im Zelt im Akkord. Zwei Familienmitgliedern wird die Zunge mit einem Metallstab durchstoßen. Soweit ich das sehen kann werden keine besonderen Vorkehrungen vor dem Durchstechen getroffen.
Der Piercer massiert kurz die Zunge, dann bohrt er den Metallstab von oben nach unten hindurch. Der junge Mann verzieht keine Mine, auch hier fließt kein Blut. Der Piercer schiebt das Metallstück zurecht, damit die Zunge nicht kippen kann. Zunge, Metallstab und die Nase des Jungen bilden für die nächsten Stunden eine stützende Einheit.
Dann widmet sich der Piercer dem nächsten Gläubigen. Auch Saravanan werden Wangen und Zunge durchstoßen, er verzieht dabei keine Mine.
Dann folgt der erste Tanz, die Familie feuert ihn an. Zusätzlich wird noch das heftig blinkende Lichtspiel eingeschaltet. So ist er beim Umzug durch Little India auch in der Dunkelheit sichtbar.
Saravanan wird von seiner Familie in den Tempel begleitet. Einige tragen nun auch einen Krug mit Milch auf dem Kopf. Wenige Minuten später reihen sie sich auf der Straße in die lange Schlange der gläubigen Anhänger ein.
Während die Familie feiert ist es für den jungen Mann vermutlich ein langer Weg der Qualen durch Little India in Singapur. Thaipusam – ein schmerzvolles Fest zu Ehren von Lord Murugan. Für mich ist es ein schaurig-schöner Einblick in eine mir absolut fremde und manchmal auch unverständliche Welt.
Reisetipps für Thaipusam in Singapur:
- Little India ist das Zentrum der Inder in Singapur. In der Serangoon Road und rund um denSri Srinivasa Perumal Temple kann man Thaipusam miterleben.
- Die nächsten Termine für Thaipusam in Singapur:
Mi., 31. Januar 2018
Mo., 21. Januar 2019
Sa., 8. Februar 2020
Alex says
Tut mir Leid, Lord Murugan… aber da würde ich nicht mitmachen! :D
Elisabeth Eichinger says
Unglaublich ! Ganz eindrucksvolle Geschichte !
Claudi says
Absolute Körper- und Geistesbeherrschung! Wahnsinn, was Menschen sich so antun, aber auch total faszinierend. Du nimmst ganz schön was mit! Erst Chinesisches Neujahr und jetzt das Fest der Schmerzen. Craaazy!
Viel Spaß noch!!!
Claudi
Markus says
Super, dass du hier dabei sein hast dürfen.
Das muss ein Erlebnis gewesen sein!
Andersreisender says
– Alex: Ach komm schon – Spielverderber. Die paar Spieße in der Haut… ;-)
– Elisabeth: Ja, finde ich auch. Absolut crazy! :-)
– Claudi: Ich finde es toll in ein Fest so “reinzustolpern”. Mit Thaipusam hätte ich in Singapur gar nicht gerechnet. Dafür hatte ich während meiner Indien-Reisen noch nie die Gelegenheit.
– Markus: Ja, ich freue mich auch sehr über dieses Erlebnis.
Martha says
ajajaj.
Warum tut man denn sowas seinem Körper an. Und dann noch im Namen eines gottes…
Flöchen says
Also das sieht schon ziemlich schmerzhaft aus :( . Kann schon verstehen das es zur Tradition oder einer Religion gehört. Aber ich selbst würde bzw. könnte es niemals tun.