Morgens um zehn Uhr in Hanoi: Eine kleine Seitengasse im Herzen der pulsierenden vietnamesischen Hauptstadt. Die Menschen gehen ihrer täglichen Arbeit nach, Kinder laufen umher. Soweit nichts Besonderes, ein Straßenbild wie in vielen asiatischen Städten.
Mehrmals täglich werden die Menschen in der schmalen Straße aber abrupt aus ihrem Alltagsrhythmus gerissen – denn dann ist hier nur noch Platz für die Eisenbahnzüge nach Saigon.
Leben an den Gleisen
Eine Rauchschwade versperrt kurz den Blick – eine alte Frau entfacht gerade ein Feuer in ihrem kleinen Ofen. Der Teekessel wird aufgesetzt. Das Feuer beginnt zu lodern und der Rauch zieht durch die schmale Gasse ab. Durch sie führen die Gleise der Eisenbahnlinie von Hanoi nach Saigon.
Mit den mehreren Tagzügen und den Expresszügen in der Nacht, die hier durchbrausen, haben sich die Anrainer längst arrangiert. Provisorische Übergänge über die Gleise erleichtern die direkte Zufahrt mit dem Moped in die Hauseingänge entlang der Bahngleise. Ein Hund hat einen der Holzbalken für sich entdeckt und liegt in der Mitte der Gleise faul in der Sonne.
Etwas entfernt werden bei einer Schreinerei Möbel lackiert. Die Gleise wurden zur praktischen Arbeitsfläche umfunktioniert. Andernorts liegen Baustahl und Sand zwischen den Stahlschienen – irgendwo muss das Baumaterial für den Hausbau ja schließlich gelagert werden.
Trotz täglicher Gefahr keine Hektik
Direkt an der Hauptstraße, beim großen Bahnübergang über die vielbefahrene Straße, hat ein Verkäufer noch einen Platz für seine Kappen direkt auf den Gleisen gefunden. Noch ist ja ein paar Minuten Zeit bis der Expresszug nach Saigon durchfährt. In 5 Minuten kann man vielleicht noch das eine oder andere Geschäft machen.
Eine Verkäuferin mit Gemüse in ihren großen Körben klappert die einzelnen Wohnungen entlang der schmalen Bahn-Gasse ab. Vor ihr laufen zwei Kinder laut lachend umher, ein Baby tappst aus einem Hauseingang heraus geradewegs auf die Gleise zu.
Die Mutter des Babys erzählt mir, dass auch sie in dieser Gasse aufgewachsen ist. Ob sie Angst um ihre Kinder habe? Ja, sie sperrt die Kleinen und den Hund jedes Mal kurz bevor der Zug kommt in den Hauseingang und schließt die Gitter. In der Nacht haben sie mit dem Lärm umgehen gelernt und tagsüber fährt nur eine Hand voll Züge am Wohnzimmer der Familie vorbei. Ich dürfe auch in den Hauseingang flüchten – wenn es dann soweit ist.
Zwei Minuten bevor der nächste “Wiedervereinigungs-Express” um 10:05 Uhr planmäßig Hanoi Richtung Süden verlässt ist in der Gasse keine Spur von Hektik zu sehen. Kleinholz wird im Schlafanzug gehackt und ein weiteres Feuer für den Teekessel entfacht.
Dann werden die Rolltore an der Hautstraße geschlossen. Der endlose Strom der Motorräder wird für kurze Zeit unterbrochen. Der Kappenmann räumt das Gleis und rückt zur Seite. Laut hupend rollt der Zug aus dem Bahnhof über die vielbefahrene Straße hinein in die enge Gasse. Wie ein großer Pfropfen wirkt die bullige Diesellok und nimmt zunehmend an Fahrt auf.
Als die Lokomotive mit ihrem ständigen Hupen in Hörweite ist verlassen auch die letzten unerschrockenen Anrainer den Schauplatz. Der Lokführer macht mit dem schrillen Warnton unmissverständlich auf die heran rollende Gefahr aufmerksam.
Kinder und Hund sind im Haus in Sicherheit gebracht und auch ich werde gewarnt “Come in, come in!”. Noch ein schnelles Foto und eine Sekunde später rollt das Ungetüm aus Stahl mit etlichen Waggons an uns vorbei. Die großen Räder einen Meter vor der Haustüre sehen aus der niedrigen Position bedrohlich aus. Der Lärm ist ohrenbetäubend.
Der letzte Waggon ist gerade an mir vorbeigerollt, kommen die Menschen wieder aus ihren Häusern heraus. Das Alltagsleben geht weiter. Der braune Hund schaut schläfrig dem letzten Waggon nach und legt sich wieder gemütlich auf seinen Stammplatz zwischen den Gleisen. Nächster Zug: 15:28 Uhr nach Hanoi Hauptbahnhof.
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Thomas says
Beeindruckende Aufnahmen…! Für einen Eisenbahnfreak sicherlich ein Leckerbissen, wenn die Bahn direkt am Fenster vorbeifährt. Möglich ist eben alles – in Vietnam.
Sven says
Alle Achtung, das ist mal ein wirklich spannendes Erlebnis. Sehr beeindruckend. Besonders mit dem Video.
Da darfste aber auch nicht einfach mal so plötzlich aus der Tür stürmen…
;-)
Beste Grüße
Sven
Christian says
Beeindruckend!
Timo says
Boah wie heftig, stell ich mir trotz der Gefahr irgendwie sehr sehr beeindruckend vor…
LG
TImo
Andersreisender says
@Thomas: Spannend war es dort auf jeden Fall. Aber ob ich dort auch wohnen möchte…? Das bezweifle ich eher ;-)
@Sven: Danke :-) Ich habe auch große Freude, dass das Eisenbahn-Video aus Hanoi so gut geworden ist. Aber gefährlich ist es auf alle Fälle dort zu wohnen…
@Christian: Danke :-)
@Timo: Das einmal mitzuerleben ist schon sehr spannend. Aber regelmäßig bräuchte ich die Bahn nicht so knapp vor meiner Haustüre.
Josie says
Äußerst interessant. Ich bin nun seit 3 Monaten in Vietnam. Davon zwei Monate als Voluntär in Saigon Gon.
Was war wohl zuerst da, die Bahn oder die Häuser in Hanoi. Ein tolles Video!
Grüße von Josie die hier schreibt