Trotz Vorinformation war mir nicht ganz klar, was mich in Auroville erwarten wird. Es kam beim Besuch dann auch ganz anders als erwartet. Schon vorneweg: 3 Tage in Auroville sind für einen Besuch definitiv zu kurz.
SVARAM, next to Ganesh Bakery, dort will ich hin. Mehrmals stoppe ich das Motorrad, um den passenden Weg zu finden. Von der Asphaltstraße ab, durch den Wald, in der kleinen Siedlung links. Oje, den kleinen Weg habe ich verpasst. Wieder zurück. Erst links, dann rechts. „Wenn Du beim großen Loch bist, bist zu weit“, gibt mir der nächste, den ich frage, als Hinweis mit auf den Weg. Bald komme ich wieder auf eine gepflasterte Straße und bin am Ziel.
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Ich gewöhne mich schnell daran mir auf diese Weise den Weg durch Auroville zu bahnen und mich an bestimmten Landmarks zu orientieren. „Beim Baum mit dem Stein davor links“. So weiß im Kontext gesehen jeder, was gemeint ist.
Wie man mit dem Motorrad auf Entdeckungsreise geht so muss man generell Auroville erfahren und die Lebensweise und Angebote stückchenweise erkunden. Man muss sich Auroville richtiggehend erarbeiten und erspüren. Am Anfang fällt der Überblick schwer.
Auroville ist eine Mitte der 1960er Jahre in Südindien gegründete Experimentalstadt. Sie liegt ca. 130 Kilometer südlich von Chennai in der Nähe von Puducherry (Pondicherry). Rund 2.400 Aurovilianer leben heute in der Stadt. Hinzu kommen viele Volontäre aus aller Welt, die hier für mehrere Monate bleiben und sich bei den Projekten einbringen.
Die Idee der internationalen Stadt Auroville basiert auf der Gesellschaftstheorie von Sri Aurobindo und wurde von Mira Alfassa, kurz die „Mutter“, ab Mitte der 1960er Jahre in die Praxis umgesetzt. Mira Alfassa hatte folgende Vision:
„Irgendwo auf der Erde sollte es einen Ort geben, den keine Nation als ihr alleiniges Eigentum beanspruchen kann. Einen Ort, in dem alle Menschen mit gutem Willen und aufrichtigem Streben frei als Weltbürger leben können und nur einer einzigen Autorität gehorchen: der höchsten Wahrheit. […] Kurz gesagt, es wäre der Ort, an dem Beziehungen zwischen den Menschen, die normalerweise fast ausschließlich auf Wettbewerb und Kampf gegründet sind, abgelöst würden durch Beziehungen des Nacheiferns, etwas immer besser zu machen … Es wären Beziehungen der Zusammenarbeit und der Brüderlichkeit.“
Den gesamten Text der Grundidee Mira Alfassas zu Auroville kannst Du hier nachzulesen.
Nach Mira Alfassa soll nicht nur eine Stadt gebaut, sondern auch eine neue Gesellschaft gegründet werden. Ohne Geld, ohne Egoismus, ohne Drogen, ohne Zwänge und ohne Alkohol. Die Stadt soll gemeinsam gebaut werden. Konkordanz erfordert aber viel Geduld. In Arbeits- und Planungsgruppen werden die verschiedenen Projekte besprochen und diskutiert. Oft ist die Projektentwicklung ein jahrelanger Prozess.
Wie auch außerhalb von Auroville „menschelt“ es. Bei der gemeinsamen Projektarbeit und auch bei der Einhaltung der hochgesteckten Ziele. Mancher will auf die Zigarette nach dem Sonntagsbraten nicht verzichten und trifft manchmal Entscheidungen nach egoistischen Gesichtspunkten. Auroville ist ein spannendes Experiment an dem täglich gearbeitet wird.
Vom Matrimandir, dem spirituellen Zentrum Aurovills ausgehend, sollten sich die verschiedenen Gebiete der internationalen Stadt Auroville erstrecken. Von dieser Planvorstellung aus den 1960ern ist die Realität weit entfernt. Statt der 40stöckigen Gebäude sind die grünen Wälder von Sandwegen durchzogen.
Manche Aurovilianer wollen auch gar nichts von Wolkenkratzern in Auroville wissen und freuen sich über das bisher erreichte. Erst durch ein umfangreiches Aufforstungsprojekt wurde aus dem Platz, wo heute Auroville steht, wieder eine grüne Oase. Über zwei Millionen Bäume wurden gepflanzt, wo einst die Erosion jeglichen Lebensraum für Pflanzen nahm. Heute hat sich in vielen Gebieten die Natur erholt, nachhaltiges Handeln soll dazu beitragen sie zu erhalten.
Jede Community in Auroville hat einen anderen Schwerpunkt. Im Youth Center versorgen sich zehn Jugendliche selbst, wohnen in Baumhäusern, organisieren aber auch einmal in der Woche einen Markt. Und ihr Pizzaofen lockt auch immer wieder Gäste an. Andere Communities kümmern sich z.B. um Forschung, Aufforstung oder Landwirtschaft.
Die Einwohner Aurovills kommen aus aller Welt. Die größte Gruppe sind Inder (ca. 42 %), Franzosen (15%) und Deutsche (11%). Auch Österreicher wohnen in Auroville. Achilles betreibt seit 1985 eine Farm, züchtet Obst und betreut auch Pferde. Nach der Schule kommen Kinder aus Auroville zu ihm zum Reiten.
Ein anderes Projekt, SVARAM, wird von Aurelio geführt. Angefangen hat alles mit gemeinsamem Musizieren mit Schulabbrechern. Dann wurden eigene Instrumente gebaut, kreative Ideen umgesetzt und so nahm die Geschichte von SVARAM ihren Lauf. Heute arbeiten hier 45 Menschen zusammen und stellen hochwertige Musikinstrumente her. Die Lust am Experimentieren ist geblieben.
Aurelio hat „Verstärkung“ aus Europa bekommen. Julius aus Karlsruhe ist im Rahmen des Freiwilligendienstes „Weltwärts“ in Auroville und Jakob aus Schärding in Oberösterreich leisten hier seinen Zivilersatzdienst ab. 12 Monate bleiben sie als Volontäre in Auroville und arbeiten bei den Projekten mit.
Wie in anderen Städten auch gibt es Schulen, Kindergärten, Restaurants und Treffpunkte. Gemeinsam mit Jakob besuche ich die Solarküche. Sie ist zu Mittag das Zentrum der Hungrigen. Hier wird jeden Tag für rund 1.300 Menschen Essen gekocht. Eine 15 Meter große Parabolschüssel bündelt die Kraft der Sonne und verwandelt Wasser in Wasserdampf. Ein Drittel des Essens, wie Reis, Idli oder Gemüse, wird mit diesem Wasserdampf gekocht.
In der Solarküche ist „Self Service“ angesagt. Wer aufgegessen hat reinigt sein Geschirr von den Essensresten und gibt Schüsseln, Besteck und Teller separat zum Abwaschen. So erleichtert man den anderen die Arbeit.
Die meisten Menschen, die sich in Auroville einbringen wollen, bleiben mehrere Monate. Um Aurovilianer mit festem Wohnsitz in der “Stadt der Morgenröte” zu werden muss man einen längeren Prozess durchlaufen.
Neuankömmlinge brauchen Geduld um in das Umfeld hineinzuwachsen. Es braucht erst einmal eine Orientierungsphase und einen Überblick, in welchen Bereichen man mitarbeiten möchte. Ob bei der Gartenarbeit im Buddha Garten oder bei der Unterstützung von Kindern aus sozial benachteiligten Familien.
So… nun wisst Ihr, warum meine paar Tage Aufenthalt hier in Auroville viel zu kurz waren. Sie waren sehr intensiv, dieser Beitrag ist auch nur ein kurzer Abriss von der Idee Aurovills und meinen Erlebnissen vor Ort. Ich hatte sehr viele, interessante Gespräche und Begegnungen. Es ist ein spannendes, internationales Projekt, das viele Herausforderungen zu meistern hat. Auch wenn es Ideale gibt „menschelt“ es hier genauso wie in der restlichen Welt. Es bringt jeder seine Lebensgeschichte mit nach Auroville und Probleme werden hier oft stärker beleuchtet als zu Hause. Herausforderungen, an denen und mit denen hier jeder arbeitet.
Tipps für Auroville:
- Ein Kurzbesuch, z.B. aus Pondicherry, führt direkt zum Besucherzentrum und zum Matrimandir.
- Wer länger bleibt mietet sich ein Moped, Motorrad oder Fahrrad, da die einzelnen Communities oft weit auseinander liegen.
- Auroville zeigt sich auch als Europäischer Enklave. Hier gibt es neben den indischen Speisen auch internationale Küche, Bäckereien und Konditoreien mit vegetarischen Speisen und Getränke bis hin zu veganer Schokolade und veganem Cappuccino.
- Alkohol, Zigaretten und Drogen sind offiziell verpönt.
- Um Auroville zu erfassen, zu erleben und sich in der Gemeinschaft einzubringen sollte man mindestens 3 Wochen bleiben.
- Auroville ist eine Stadt in der Menschen arbeiten. Touristen sollten dies unbedingt respektieren und nicht unangemeldet in Communities und Arbeitsstätten hineinplatzen.
- Viele Informationen über die Vision, die Möglichkeit des Zivildienstes in Auroville, das Programm „Weltwärts“, Programme für Volontäre, organisierte Reisen und Reiseinformationen für Auroville gibt es auf der Homepage von Auroville International in Deutschland.
Lust auf mehr? Hier geht’s zur Übersicht Reiseberichte und Reiseinformationen Indien.
Alex says
Anfangs dachte ich irgendwie an eine Sekte. Dann sah ich eine “Ionen-Waffe”, die dann doch nur eine Solaranlage ist und Achilles rundet den Artikel ab. Und auch wenn du vielleicht keine 3 Wochen, aber nur 3 Tage dort warst, hat es dich sicherlich berührt. Solche Ideen, Lebensgemeinschaften haben was! :)
Andersreisender says
Alex: Nein, Auroville ist definitiv keine Sekte – auch nicht mit gefährlichen Waffen. ;-) Im Gegenteil: Hier sind alle Glaubensrichtungen Willkommen.