Mit viel Gehupe bahnt sich der kleine Bus seinen Weg von Jishou in ein Seitental. Alle Sitze sind besetzt und am Gang wurde auch der letzte freie Platz mit Reissäcken, Körben und Kisten verstellt. Irgendwo unter einer großen Butte befindet sich auch mein Rucksack, daneben eingeklemmt sitze ich. Mit langen Beinen wird das Busfahren in China manchmal zur Qual.
Neben dem Busfahrer sitzt seine zwei Jahre alte Tochter. Am Busbahnhof in Jishou hat sich die Mama um das Mittagessen und Pipi-Gehen am Gehsteig gekümmert, jetzt ist die Kleine wieder mit dem Vater allein auf Tour. Sie teilt sich den Platz nun mit einem Fahrgast. Eine Zigarette qualmend sitzt er am Beifahrersitz und unterhält sich angeregt mit dem Busfahrer.
Von Minute zu Minute wird die Straße schlechter und die Landschaft atemberaubender. Freude kommt in mir auf, konnte ich doch schon herrliche Tage in dieser wunderschönen Karstlandschaft im Wulingyuan und am Tianmen Shan genießen. Rund um mich ragen immer höhere, zerklüftete Berge auf, ein Bach schlängelt sich durch die kunstvoll angelegten Reisterrassen.
Nun lässt es sich nicht mehr leugnen, dass der Herbst in dieser Region Einzug gehalten hat. Der Reis ist bereits abgeerntet und auch das Wetter wurde die letzten Tage spürbar kühler. Auch heute ist es feucht und regnerisch, die Nebelschwaden ziehen an den bizarr bewachsenen Felsen empor.
Inhalt:
Das Dorf der Miao
Die schmale Straße führt durch eine Gasse auf einen Platz – hier ist die Reise zu Ende. Willkommen in Dehang. Hühner laufen über den Platz und verschwinden gackernd in einer kleinen Seitengasse. Kühe sind von den Touristen im Ort schon längst unbeeindruckt. Frauen sitzen in ihrer traditionellen Tracht am Dorfplatz und verkaufen Flusskrabben, Fisch am Stiel und andere Snacks.
Ein Großteil der Bevölkerung in Dehang ist der ethnischen Minderheit der Miao-Chinesen zuzurechnen. Durch die schnell wachsende Anzahl der Han-Chinesen wurden die Miao in die Bergregionen Südchinas zurückgedrängt, wo sie heute hauptsächlich leben.
Jielong Brücke
Eine kleine, unscheinbare Gasse zwischen zwei Gemischtwarenläden führt ins Herz des Dorfes. Dort werden noch in traditioneller Handarbeit die Trachten der Miao hergestellt. Korbflechter sind den ganzen Tag mit ihrem Handwerk beschäftigt.
Die geschwungene Jielong Brücke am Fluss ist ein Nadelöhr im kleinen Dorfzentrum. Stundenlang kann ich dort dem Treiben zusehen. Mal werden Kühe über die Brücke getrieben, dann tragen Bauern lange Bambusstangen vorsichtig über die rutschigen Stufen. So mancher Reisender steht am höchsten Punkt des Bogens und sieht begeistert auf die malerische Dorfszene inmitten der Berge.
Aber auch unter der Jielong Brücke spielt sich das Leben ab. Der Bach als Lebensader ist Wasserlieferant für die unterschiedlichsten Tätigkeiten im Dorf. Die Wäsche wird am gleichen Platz gewaschen wo die Ente für den Kochtopf vorbereiten wird. Was da wohl die noch lebenden KollegInnen des Federviehs, die aus sicherer Entfernung zusehen, davon denken?
Eine über den Fluss gebaute Holzterrasse bietet die ideale Aussicht auf das Dorfleben und die umliegenden Berge. Einen Stock höher können müde Reisende in einfachen Zimmern schlafen. Die drei Zimmer sind fest in Europäischer Hand. Ein französisches Paar, Bruno aus Slowenien und ich genießen die Abende auf der Terrasse.
Chinesische Eierspeis’
Am Eingang steht ein Wok in dem frische Speisen zubereitet werden. Besonders beliebt ist in dieser Region ein intensiv geräucherter Speck, der direkt über dem Herd hängt. Was liegt da näher, als der Hausherrin Rührei mit Speck beizubringen? Bruno dient als Testperson, ihm wird das chinesisch-europäische Gericht als erster serviert. Die Geschmacksprobe fällt positiv aus und wir bestellen drei weitere Portionen. Mit den Stäbchen picken wir dünne, gelbe Streifen aus der Eierspeise und zeigen sie der Köchen: “Bitte beim nächsten Mal keinen Ingwer hineinschneiden.”
Durch den “europäischen” Duft werden noch zwei Holländerinnen angelockt, sie bestellen gleich zwei weitere Portionen Rührei. So lässt sich der Abend genießen.
Immer wieder kommen Menschen aus der Nachbarschaft am Weg vorbei und machen Halt. Für einen kurzen Tratsch und maner bleibt für ein spannendes Spiel den ganzen Abend auf der Terrasse “hängen”.
Wasserfälle in Dehang
Rund um Dehang gibt es einige schöne Wege, die aus dem Dorf Dehang in die Umgebung führen. Einer davon führt weiter ins Naturschutzgebiet. Bruno und ich freuen uns, in einer kurzen Regenpause endlich die Umgebung des Dorfes erkunden zu können.
Entlang der kleinen Reisterrassen führt die Wanderung durch das immer schmäler werdende Tal. Felsen ragen hoch auf beiden Seiten auf, die Szene verändert sich mit jedem Schritt. Nach etwa einer Stunde ist auf der rechten Seite der Neun-Drachen-Wasserfall zu sehen, links geht es weiter zum Liusha-Wasserfall. Majestätisch stürzt er vom Berg hinab in einen grün schimmernden See. Mit 216 Metern ist er der höchste Wasserfall Chinas.
Der Alltag scheint hier in den Bergen einen Gang langsamer zu verlaufen als sonst in der quirligen Großstadt. Es scheint niemand Eile zu haben. Es ist immer Zeit für ein Schwätzchen auf der Straße. Am Rückweg ins Dorf legen wir einen Tee-Stopp bei einer kleinen Hütte ein.
Einer der Männer beginnt sofort mit uns zu plaudern – vergeblich. Wir verstehen leider kein Wort Chinesisch. Bruno bietet ihm eine seiner Marlboros an. Diese Freundschaftsgeste wird sofort erwidert. Schnell wird eine Zigarette per Hand gedreht. Das Papier mit Spucke befeuchten und die Zigarette verschließen darf Bruno aber selbst. ;-)
Am Abend versorgen wir uns am Dorfplatz noch mit Proviant und plaudern mit anderen Reisenden. Neben uns sind einige Männer in Arbeitskleidung ebenfalls am diskutieren. Plötzlich merke ich im Augenwinkel, dass sich ein Mann nach dem anderen Neben mich stellt und sich an meiner Schulter misst.
Ach ja…wieder mal das Klischee mit der “großen Langnase”, das ich hier bestätige. Keiner der Männer reicht mir über die Schulter, ich bin also mehr als einen Kopf größer als der durchschnittliche Miao-Mann. Das Gelächter ist groß.
Das feuchte Herbstwetter hält weiter an und es regnet die Nacht durch. Auch die Prognosen versprechen keine Wetterbesserung. Leider muss ich das faszinierende Miao-Dörfchen Dehang früher verlassen, als ich eigentlich möchte. Ich habe aber keine Lust auf die nächste Verkühlung. Unglaublich toll muss es sein, wenn die Reisfelder noch nicht abgeerntet sind und sanft im Wind die Halme wiegen.
Und übrigens: Wer ein Bild von der kleinen Busfahrerin, die ich eingangs erwähnt habe, sehen möchte: Hier ist ein Foto von ihr. Auf dem Bild hat sie noch einen Sitzplatz für sich alleine. ;-)
Reise-Tipps für Dehang in der chinesischen Provinz Hunan:
Busverbindung:
ca. 45 Minuten Fahrzeit, Bus verkehrt ab Bahnhof Jishou nach Dehang tagsüber regelmäßig. Fahrpreis: 6 Yuan, bezahlt wird im Bus.
Eintritt Dehang:
Am Ortseingang wird einmalig 60 Yuan Eintritt in den Nationalpark verrechnet. Der Zutritt zum Liusha-Wasserfall ist frei, der Eintritt zum Neun Drachen Wasserfall kostet 15 Yuan.
Übernachtung:
In Dehang gibt es ein paar kleine, günstige Pensionen mit sehr einfacher Ausstattung und in offener Bauweise (tlw. nur Mückennetz an den Fenstern, kein Glas). Auch die Sanitäre Ausstattung ist sehr einfach.
Achtung! Kaum Schutz gegen kaltes Wetter! Auch die Speiselokale sind nach außen hin offen. Eine größere als “Hostel” bezeichnete Unterkunft befindet sich direkt am Platz, die aber nur wenig Charme hat.
Verpflegung:
In zwei kleinen Gemischtwarenläden wird vom Mineralwasser bis zum Klopapier alles Lebensnotwendige angeboten, es gibt einige kleine Straßen-Restaurants.
Internet & Telefon:
Im Ort gibt es kein öffentliches Internet. Mobiltelefon funktioniert.
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