Wieder mal Schlange stehen. Dazu wird man in einem “Gatter” gezwungen. Was auf den ersten Blick vielleicht ein bisschen barbarisch aussieht ist mir eigentlich ganz recht, denn das Schlange-Stehen und “Hinten anstellen” muss in China erst gelernt werden. Normalerweise befindet sich vor Ticketschaltern, Buseinstiegen und Kassen eine undurchdringliche Masse am Menschen die schiebt, boxt und manchmal schreit.
Im Zugang zum Bahnhof in Xi’an – und auch in anderen chinesischen Bahnhöfen – hat hingegen immer nur eine Person nach der anderen Platz. Mit “Faustrecht” ist hier nichts mehr auszurichten und die Fahrgäste schieben sich brav hintereinander Richtung Wartehalle.
Hinein kommt man nur mit einer gültigen Fahrkarte und nach bestandener Sicherheitskontrolle. Dort werden alle Gepäckstücke durchleuchtet. Wie am Flughafen muß ich auch einen Metalldetektor durchschreiten.
Inhalt:
Zugang nur mit Fahrschein
Ich zeige meinen Fahrschein für den Nachtzug von Xi’an nach Chengdu vor. Zug K385. Hardsleeper. 842 Kilometer, rund 17 Stunden Fahrzeit bis Xi’an. Ich habe das Ticket ein paar Tage zuvor am Bahnschalter gekauft. Oder soll ich besser sagen “erkämpft”? Denn trotz Absperrungen ist ein ungestörter Fahrkartenkauf fast nicht möglich. Ständig quatscht jemand zwischen und will “nur schnell” etwas wissen. Eine gute Vorbereitung – mit dem Fahrkarten-Wunsch auf einem kleinen Zettel – erleichtert die Kommunikation für Touristen am Schalter ungemein.
Das Personal am Eingang zum Bahnhof kontrolliert genau: Mein Ticket ist in Ordnung – die uniformierte Dame lässt mich passieren.
Orientierung im Bahnhof
Auf riesigen Tafeln werden in der Eingangshalle die Züge angekündigt. Jedem Zug ist im Bahnhof eine bestimmte Wartehalle und dort wiederum ein bestimmtes “Abfahrtstor” zugewiesen. Leider sind die Namen der verschiedenen Wartehallen manchmal nur in Chinesisch angeschrieben, was die Orientierung für Reisende wesentlich erschwert.
Ich möchte das Treiben und die unglaublichen Menschenmassen hier im Bahnhof auf Fotos bannen. Leider kommt ein Sicherheitsmitarbeiter sehr zielstrebig auf mich zu und macht mir klar, dass im Bahnhof das Fotografieren (zumindest für mich mit Spiegelreflex-Kamera) verboten ist. Ich vermute, dass er mich beim Fotografieren im Eingangsbereich und beim Security-Check über die Videoüberwachung beobachtet hat.
Also muss meine weitere Dokumentation ohne Bilder auskommen. Aber auch schon die Menschenmassen vor dem Bahnhof vermitteln ein Gefühl, was sich in den Gebäuden abspielt.
In der Wartehalle
In der Wartehalle herrscht Hochbetrieb. Fast alle Sitzplätze sind belegt. Ich grüble, ob tatsächliche all die Menschen mit demselben Zug wie ich fahren wollen? Ich ergattere einen Platz in den langen Sitzplatz-Reihen. Nun heißt es wieder warten.
Beim Tor zum Bahnsteig wird als Abfahrtszeit 20:07 Uhr angezeigt – noch eine Stunde zu warten. Genügend Zeit, die Menschen hier zu beobachten. Es wird gegessen. Viel gegessen. Der Mülleimer an der Ecke ist hoffnungslos überfüllt. Auffällig sind die vielen leeren Instant-Nudelsuppen-Töpfchen. Grüne und rote Suppenschüsseln aus Karton. Sie scheinen die populärsten Nudelsuppen in China zu sein. Ich habe auch eine rote Packung als Notration in meinem Rucksack dabei. ;-)
Verspätung
Die Menschen sind angespannt – eigentlich sollte die Tür zum Bahnsteig baldaufgehen. Stattdessen springt die Abfahrtszeit auf der Anzeige beim Tor zum Bahnsteig von 20:07 Uhr auf 20:20 Uhr. Weiter warten.
Dann wird nach langer Zeit der Bahnsteig 3 als Abfahrtsbahnsteig angezeigt. Schlagartig sind alle Sitzplätze leer und die Menschenmenge beginnt zum noch verschlossenen Abfahrtstor zu drängen. Nicht jeder Fahrgast hat eine Sitzplatzreservierung. Aber auch mit viel Gepäck lohnt es sich beim Einsteigen “vorne dabei” zu sein. Schließlich möchte man seine Koffer und Taschen im Zug auch gut verstaut wissen.
Sportliche Herren springen über die leeren Sitze und machen so ein paar Startplätze wett. Wieder vergehen Minuten höchster Anspannung – dann geht endlich das Tor auf.
Ein Sog in Richtung Zug
Ich sehe die ersten Menschen durch die schmale Öffnung im Gitter drängen und zum Bahnsteig laufen. Eine Sog an hunderten von Menschen zieht mich zum kleinen Durchgang, wo die Fahrkarten nochmals kontrolliert werden. Mit meinem Rucksack verursache ich eine Verstopfung. Aber nur kurz, denn die Mitreisenden helfen mit einem ordentlichen Schubs nach.
Dann schiebt sich die Masse weiter Richtung Bahnsteig. Ich halte Ausschau nach Waggon Nummer 7. Endlich am Ziel – nun kann die eigentliche Fahrt im Nachtzug nach Chengdu beginnen…
Christian says
Ich glaube das könnte ich nicht aushalten! Mir sind die Menschenmengen in der Fußgängerzone in München oft schon zu viel…
Sven says
Dem schließe ich mich an. Was für ein Tohuwabohu.
Ich glaube in den Großstädten Chinas dürfte man schon merken, dass in diesem Land weit über 1 Milliarde Menschen leben.
Greets
Sven
Grilli says
Das Abfahrtsprozedere erinnert mich stark ans Bahnfahren in den USA. Auch in New York gab es für jeden Zug ein eigenes Gate wie auf einem Flughafen. Wenn der Zug dann einfährt, wird das Gate für die Zusteigenden erst geöffnet, sobald der letzte aussteigende Fahrgast den Bahnsteig verlassen hat. Das hilft einiges an Chaos zu vermeiden. Obwohl das bei dem chinseischen System nicht ganz so zu sein scheint…
Andersreisender says
@Christian: Also zu Hause halte ich mich von solchen Menschenansammlungen (privat) auch meistens fern. Furchtbar! Aber auf Reisen hält man das aus, auch wenn das Agressionspotential manchmal doch steigt.
@Sven: Es ist unglaublich, wie groß dimensioniert die neuen Bahnhöfe hier gebaut werden. Und das ist auch wirklich notwendig bei den Menschenmassen. Vor allem beginnt die “Masse” erst schön langsam richtig zu reisen. Da darf man sich auch in Zukunft auf den chinesischen Bahnhöfen und in den Zügen auf etwas gefasst machen.
@Grilli: Ich bin mir nicht sicher, ob sie ankommende und abreisende Fahrgäste in jedem großen Bahnhof strikt trennen. Bisher bin ich auf dieser Reise immer am Zugendbahnhof ausgestiegen. Der Weg führt für die aussteigenden Fahrgäste direkt zum Ausgang, sie gelangen nicht in die Wartehalle. 2009 konnte ich im kleinen Bahnhof Badaling beobachten, dass wir wenige Minuten vor Zugankunft auf den Bahnsteig durften und uns so auch mit den aussteigenden Fahrgästen mischten. Der Bahnhof war allerdings sehr überschaubar.
Andererseits: Die CRH High-Speed-Züge haben nur 2-3 Minuten Aufenthalt im Bahnhof, da wäre eine absolute Trennung der Ein- und Aussteigenden Fahrgäste zeitlich absolut unmöglich. Ich werde die Sache weiter beobachten und berichten. ;-)