Endlich habe ich mich im Bahnhof in Xi’an bis zum Zug durchgekämpft. Bei Waggon Nr. 7 sammelt der Schaffner die Fahrkarten ein und teilt stattdessen Plastikkarten mit der Platznummer aus. Ich schlafe in “Stockbett” Nr. 11 – ganz oben. Eigentlich finde ich den mittleren Platz am Bequemsten, da man nicht direkt unter der kalten Klimaanlage liegt und trotzdem seine Ruhe hat. Und am unteren Bett sitzen häufig auch andere Fahrgäste – auch nicht so optimal. Aber leider waren zwei Tage vorher schon alle anderen Plätze ausverkauft und so muss ich mich das Bett direkt unter dem Dach nehmen.
Inhalt:
Hard-Sleeper
Es werden verschiedene Waggon-Klassen zum Reisen innerhalb Chinas angeboten: Hardseater und Softseater werden die 2. und 1. Klasse Sitzwaggons genannt. Ein Softsleeper-Abteil teilen sich vier Fahrgäste. Es ist mit dem Schlafwagen vergleichbar. Im Hardsleeper-Waggon hat jeder Fahrgast ein Bett, es gibt es allerdings keine Türen. Bis zu 66 Fahrgäste schlafen dann in einem offenen Waggon. Wie im Liegewagen befinden sich jeweils drei Betten übereinander. Gegenüber den Betten sind noch zwei Klappsitze mit Tischchen verfügbar. Hardsleeper-Abteile werden auch gerne bei einer längeren Tagesfahrt und nicht nur im Nachtzug gebucht.
Bettwäsche
Mein Bettplatz sieht ungemacht aus – vor kurzem hat hier jemand anders geschlafen. Nach Abfahrt des Zuges erhalte ich vom Schlafwagenschaffner frische Bettwäsche. Die Fahrgäste müssen sich um den Bettenbau selbst kümmern. Andere Mitreisende verzichten daher auf die anstrengende Arbeit und benützen lieber die Bettwäsche des Vorgängers weiter.
Nachtruhe
Kurz vor 21 Uhr setzt sich der Zug Richtung Chengdu mit 45 Minuten Verspätung in Bewegung. Eine halbe Stunde später – ich bin gerade mit dem Beziehen meiner Bettwäsche fertig – beginnt der Schaffner die Vorhänge zuzuziehen. Er macht den Fahrgästen auch unmissverständlich klar, dass sie nun nicht mehr länger auf den Klappsitzen erwünscht sind. Der Müll wird eingesammelt und der Teppich mit einem groben Besen gekehrt. Vor allem die Schalen der Sonnenblumenkerne machen jede Menge Müll und liegen mehr am Boden als in den kleinen Abfallschalen.
Dann werden die Schuhe der Fahrgäste vom Schaffner in “Reih und Glied” gebracht und am Ende der Betten aufgestellt. Bei den Waschbecken und vor der Toilette staut es sich, jeder möchte sich für die Nacht fertig machen.
22:00 Uhr Bettruhe im Schlafwagen
Ich erklimme ebenfalls meinen Bettplatz über die Leiter und beginne im Reiseführer zu schmökern. Punkt 22:00 Uhr geht das Licht aus. Kollektive Nachtruhe im Schlafwagen. Andere Tätigkeiten unerwünscht.
Ich lege den Reiseführer auf die Seite und versuche auch zu schlafen. Es ist mucksmäuschen still. Nur das Fahrgeräusch des Zuges ist zu hören. Würde ich es nicht besser wissen würde ich glauben, dass ich statt mit 65 Chinesen alleine im Waggon bin.
Insgesamt schläft man im chinesischen Schlafwagen ganz bequem. Die Waggons haben eine gute Laufruhe und die Strecken sind insgesamt in einem guten Zustand. Einzig die gelegentlichen Stöße beim Ändern der Fahrtgeschwindigkeit sind wirklich störend.
Der nächste Tag
Genauso schnell, wie die Ruhe einkehrte, ist sie im Nachtzug auch wieder vorbei. Punkt 6:30 Uhr geht das Licht im Waggon an. Musik ertönt aus den Lautsprechern. Keine zwei Minuten später sind die ersten Fahrgäste auch schon wieder am Handy-Telefonieren.
Zähneputzen und waschen, dann halte ich Ausschau nach dem “Frühstücks-Wagen”. Alle paar Minuten fährt ein Schaffner mit einem kleinen Wagen am Gang durch: Obst und Gemüse handlich verpackt, verschiedene Snacks und Instant Nudeln, Getränke, Kosmetikartikel, Spielzeug und auch Zeitschriften sind zu kaufen dabei. Und zum Frühstück gibt es auch einen speziellen “Frühstückswagen”. Ich erstehe ein “Chinesische Einheitsfrühstück” im Zug u.a. mit Reissuppe, eingelegtem Gemüse und Ei.
Reiseproviant
Die meisten der Reisenden in diesem Waggon haben ihren Reiseproviant von zu Hause mitgenommen. Taschenweise wurden Lebensmittel in den Waggon geschleppt. Es “fischelt”, riecht nach Huhn, Keksen und getrockneten Schaschlikspießchen. Auch an vakuumverpackten Hühnerkrallen wird gerne mal geknabbert. Mandarinen dürften in der Region reif sein – es zieht ein frischer Duft zu mir herüber.
Auf einer längeren Bahnfahrt in China muss man auch ohne der Mitnahme des halben Kühlschranks von zu Hause nicht verhungern. Ein Speisewagen hängt an unserem Zug und bei längeren Aufenthalten in den Bahnhöfen gibt es an fahrbaren Ständen ebenfalls einiges zu kaufen. Speziell der “Eier-Stand” hat’s mir in einem Bahnhof angetan.
Im Zug mache ich dann noch mit einem “jungen Mann” Bekanntschaft. Traditionell chinesisch trägt das Baby vorne einen kleinen Schopf, sonst ist der Kopf kahl geschoren. In der Hose ist im Schritt von vorne bis hinten ein Schlitz. So braucht sich der kleine Mann auf der Straße nur schnell hinhocken und kann sein “Geschäft” erledigen.
Im Zug und im zunehmend moderner werdenden China geht das natürlich nicht mehr so leicht. So verlieren manche ursprünglich praktischen Gewohnheiten zunehmend ihre Bedeutung. Hier im Zug gibt es außerdem nur Stehtoiletten – nix mit “Englischem Klo”. Und Klopapier ist übrigens auch selbst mitzubringen.
Nach der Frühstückszeit wird im Waggon geredet, Karten gespielt oder beim Fenster hinausgeschaut. Ganz wichtig ist der Tee, den fast jeder Reisegast in einem kleinen Behälter vor sich stehen hat. Heißes Wasser zum Nachfüllen gehört zur Standardausstattung jeden chinesischen Zuges.
Besonders beliebt ist es auch Sonnenblumenkerne zu knabbern. Dazu wird die Schale mit den Zähnen aufgeknackt und dann der Kern gegessen. Ob die Schale dann auf den Tisch oder auf den Teppichboden fällt, nehmen die Sonnenblumenkernesser dann nicht mehr so genau. Sehr zum Leidwesen des Schaffners, der in regelmäßigen Abständen eine Putztour durch den Waggon starten muss.
Nur ein Zug von vielen
Das chinesische Eisenbahnsystem erfährt wahrscheinlich gerade die massivsten Umbrüche in seiner Geschichte. Während Nachtzüge noch mit maximal 120 km/h unterwegs sind, fahren auf anderen Bahnstrecken in China mittlerweile die schnellsten Züge der Welt (Durchschnittsgeschwindigkeit). Und das Hochgeschwindigkeits-Streckennetz wächst sehr schnell. Kürzlich wurde zum Beispiel die Hochgeschwindigkeitsstrecke Wuhan – Guangzhou (Kanton) eröffnet. Für die 1.069 Kilometer lange Strecke benötigen die schnellsten Züge nur 3 Stunden und 16 Minuten (Durchschnittsgeschwindigkeit: 327 km/h).
In den nächsten Jahren soll ein Hochleistungsbahn-Netz ganz China überziehen. Dann werden die Metropolen Chinas innerhalb weniger Stunden erreichbar sein. Der Zug macht dem Flugzeug ernsthafte Konkurrenz. Ob es dann noch viele gemütliche Nachtzüge geben wird, mit denen man im Schlafwagen China bereisen kann, ist mir nicht bekannt.
Timo says
Ohje, ob ich so eine Reise überstehen würde^^ Ich glaub ich bin zum bereisen von China zu empfindlich *gg* Nein… ist bestimmt ein cooles Erlebnis, wie ich denke :)
Hab auch grad eine gute Freundin, die in China rumwuselt, musste ihr erstmal deinen Artikel zeigen *gg*
LG
Timo
Andersreisender says
@Timo: Willkommen im Blog! Ach…wenn man erst mal im “Gewusle” mitten drin ist, ist alles halb so wild. Auch wenn man schon gelegentlich ausrasten könnte…
Jialin Li says
Ich war schon oft auf so einem Zug von Nanyang (Henan) nach Peking. Die Züge sind übrigens sehr lang.
Toller Bericht : )