An jener Stelle, an der heute ohne Kontrollen grenzenlos Rad gefahren werden kann zog bis 1989 der Eiserne Vorhang eine undurchdringliche Linie zwischen Ost und West. Das Paneuropäische Picknick am 19. August 1989 an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn ging in die Geschichte ein.
Am Grenzübergang St. Margarethen, in der Nähe von Mörbisch, öffneten sich damals für drei Stunden die mit Stacheldraht verhauenen Tore. Zwischen 600 und 700 DDR-Bürgern gelang damals die Flucht in den Westen.
Die Grenze zwischen dem Burgenland und Ungarn wurde eigentlich schon wenige Wochen vorher löchrig. Am 27. Juni 1989 hatten, wenige Kilometer vom späteren Schauplatz entfernt, der damalige österreichische Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn gemeinsam den Signalzaun durchtrennt.
Das Bild ging als Symbol für das Ende des Eisernen Vorhangs um die Welt. Sie unterstrichen damit den am 2. Mai 1989 begonnenen Abbau der Überwachungsanlagen durch Ungarn.
400 DDR Bürgern bei der Flucht geholfen
Berthilde Kanitsch aus Mörbisch denkt gerne an die aufregende Zeit zurück und erzählt mir am Platz der Freiheit, direkt am Grenzübergang, von ihren Erlebnissen als Fluchthelferin. Über 400 DDR-Bürgern haben Sie und ihr mittlerweile verstorbener Mann Martin illegal über die Grenze geschleust.
Am Löwa Campingplatz in Sopron und in Fertőrákos nahmen sie Kontakt mit “Ausreisewilligen” Urlaubern aus der Deutschen Demokratischen Republik auf. Erst stießen sie auf Verunsicherung, schließlich hatte jeder Angst bei seinen Fluchtgedanken ertappt zu werden. Hatten die Menschen einmal Vertrauen gefasst, wurden die Fluchtpläne konkretisiert.
„Wir wussten genau, zu welcher Uhrzeit die Grenze nicht kontrolliert wird. Diesen Zeitpunkt haben wir abgewartet und dann die Menschen durch den Wald geschleust“ erinnert sich Kanitsch. Einmal wurden 28 Flüchtlinge gleichzeitig über die Grenze nach Österreich gebracht.
In Mörbisch angekommen gab es im Privathaus der Fluchthelfer erst eine warme Dusche und dann zu essen. Nach zwei bis drei Tagen reisten die “DDR-Touristen” dann weiter Richtung Bundesrepublik Deutschland.
Der tägliche Menschenschmuggel über die Grenze war aber auch gefährlich. „Ein grüner VW-Bus der Stasi ist längere Zeit vor unserem Haus gestanden, wir wurden beobachtet. Da bekommt man es dann schon auch mit der Angst zu tun“, erzählt Kanitsch. „Aber es war wie eine Sucht den Menschen zu helfen und sie über die Grenze zu bringen, wir mussten weitermachen“.
Einmal wurde ihr Mann bei der Beihilfe zur Freiheit ertappt. Die Folgen waren zwei Tage im ungarischen Gefängnis wegen Fluchthilfe.
Offene Grenztore
Der Werbeflyer vom Paneuropäischen Picknick ist auch den Kanitschs 1989 in die Hände gefallen. Gegen Ende der Veranstaltung kamen sie zum Grenzübergang und trauten ihren Augen nicht: Die Grenztore nach Ungarn waren geöffnet. „Das konnten wir erst gar nicht verstehen“, denkt Kanitsch an diesen geschichtsträchtigen Tag zurück.
Auch hier war das Ehepaar wieder helfend zur Stelle. Es nahm Flüchtlinge in ihrem Privathaus auf, die Versorgung vieler der 600 bis 700 Flüchtlinge aus der DDR wurde aber auch professionell in Österreich organisiert.
Der Grenzübergang heute
Am Platz des Paneuropäischen Picknicks ist heute ein weitläufiger Park angelegt. Mehrere Denkmale thematisieren den Fall des Eisernen Vorhangs. Dort, wo das Grenztor von den Flüchtlingen durchbrochen wurde, steht heute eine sich öffnende Türe als Erinenrung an die Ereignisse vom 19. August 1989.
Reisetipps:
- Der Platz der Freiheit am Grenzübergang St. Margarethen liegt etwa 5 Kilometer von Mörbisch entfernt und ist mit Auto oder Fahrrad zu erreichen.
- Achtung! Nicht mit dem Grenzübergang an der Ödenburger Straße (dort wo die Wegweiser “Staatsgrenze” in Mörbisch hinführen) verwechseln!
- In einem anderen Beitrag findest Du wertvolle Tipps für eine Radreise durch das Burgenland.
Die Erfahrungen, Tipps und Hintergrundinformationen in diesem Beitrag wurden im Rahmen einer individuellen Pressereise auf Einladung von Burgenland Tourismus recherchiert. Wie immer bleibt meine Meinung in der Berichterstattung davon unberührt.
Alex says
Habe erst kürzlich einen Artikel zum Thema gebracht, in welcher Zeit man gerne leben wollen würde. Und auch da schreibe ich, dass man froh sein kann, dass man heutzutage in keinem Land des Krieges und der Verfolgung lebt. Wir haben Glück und sollten es oftmals mehr zu schätzen wissen.
Andersreisender says
@Alex: Ich denke, dass die Punkte, die Du ansprichst in unseren Breiten viel zu wenig geschätzt werden. Wahrscheinlich hat in Mitteleuropa noch nie eine Generation so lange friedliche Zeiten erlebt wie jene die nun leben. Ohne Krieg, ohne Hungersnöte und mit sehr vielen Freiheiten. Das gehört unbedingt bewahrt. :-)
Paula says
unglaublicher Bericht, den du hier schreibst. Ene kühne Frau! Wenn ich bedenke, dass im Weinviertel auf Menschen, die über den Fluss schimmend flüchten wollten geschossen wurde. Und dass in den Jahren generell leicht geschossen wurde.
Ich habe es schon einmal geschrieben und schreibe es heute wieder: Dein direkter Stil wie du von Begegnungen berichtest gefällt mir sehr gut!
Andersreisender says
@Paula: Ja, damals war man wirklich nicht zimperlich. Am Grenzerfahrungsweg in Bildein wurde mir erzählt, dass Minen an Schnüren ins Wasser gehängt wurden, damit niemand sich im Fluss nach Österreich treiben lassen konnte. Letzten Endes haben die hohen Kosten für die Grenzanlagen und die Grenzsicherung auch dazu beigetragen, dass die Grenzzäune in Ungarn abgebaut wurden.
Dankeschön für Dein Kompliment. :-)
Kathrin says
Finde den Bericht auch sehr spannend, leider beschäftigt man sich viel zu wenig mit solchen Themen.
lg kathrin
Andersreisender says
@Kathrin: Dankeschön. :-) Die Themen rund um den Eisernen Vorhang kommen hauptsächlich zu Jahrestagen in die Medien. Es ist schon sehr spannend, einmal die Erlebnisse von damals von jemanden “live” zu hören.
Julia says
Ich weiss nicht, warum immer noch jedes Mal vollkommen überrascht bin, wenn ich wieder etwas über diese Zeit lerne…
Ich bin 82 geboren und kann daher nicht wirklich behaupten, dass ich die Ost-West Trennung wirklich miterlebt habe. Zumindest nicht in dem Sinne bewusst.
Und wenn ich heute darüber nachdenke, dass diese Geschichte erst 89 ein Ende nah… Irgendwie will mir das nicht in den Kopf. Menschen wurden verfolgt und erschossen… Wozu? Keine Ahnung.
Und jetzt, gerade mal etwas über 20 Jahre danach, scheinen alle diese Dinge vollkommen absurd. Doch manchmal fühlt es sich wie eine falsche Sicherheit an. Denn wer sagt denn, dass wir sowas heute verhindern könnten???
Ich schliesse mich Alex an. Wir müssen es schätzen, dass es uns so gut geht und wir müssen “wirklich” einmal etwas lernen aus der Geschichte!
Pantitlan says
Hast du eine Ahnung, wieso die Frau genau wusste, wann der Grenzübergang nicht kontrolliert wurde? Verfügte sie über irgendwelches Insiderwissen? Für mich klingt das ein bisschen seltsam.
Andersreisender says
@Pantitlan: Wenn man direkt an der Grenze wohnt und Kontakte nach Ungarn hat, dann bekommt man sehr schnell mit, was sich hier abspielt. Du musst Dir vorstellen, dass die Signalzäune, Minenfelder u.s.w. in dieser Zeit bereits abgebaut wurden, dadurch konnte man dann – abgesehen vom Wachpersonal – ungehindert bis an den Grenzzaun zu Österreich gelangen. Wann keine Grenzsoldaten patroullierten wurde schnell herausgefunden. Außerdem gab es keinen sofortigen Schießbefehl wie zB. in der DDR.