Schon während der Reiseplanung für meine Bahnreise durch England frage ich mich, warum es in Ribblehead eigentlich einen Bahnhof gibt? Hier leben kaum Menschen. Dafür umso mehr Schafe.
Jene, die gerne einmal “in the middle of nowhere” aus dem Zug aussteigen werden hier mit viel Landschaft, Ruhe und dem Blick auf einen 402 Meter langen Eisenbahn-Viadukt belohnt.
Die am Zugfenster vorbeiziehende Landschaft verändert sich schnell. Sind bei Settle noch Bäume, Häuser und umzäunte Weiden zu sehen, wird die Szene nun von einer kargen, rauen Landschaft abgelöst.
Die Weite dominiert und keine Zäune durchziehen mehr die großen, baumfreien Flächen. Schafe weiden und leuchten als weiße Tupfen in der menschenleeren Landschaft.
“Nächster Halt: Ribblehead” tönt es aus dem Lautsprecher, Zeit zum Aussteigen.
Die Zugtüre öffnet sich und mir kommt ein Schwall kühler Luft entgegen. Ich ziehe den Kragen meiner roten Windjacke hoch. In mir macht sich ein Gefühl der Einsamkeit breit, außer dem Bahnhof sind keine anderen Gebäude zu sehen.
Langsam fährt der Zug aus dem Bahnhof hinaus, weiter Richtung Norden. Ich bleibe alleine am Bahnsteig zurück.
Im Bahnhofsgebäude ist ein kleines Museum über die Eisenbahnstrecke Settle – Carlisle eingerichtet. Vorsorglich werfe ich eine kleine Spende in die Kasse und frage dann, ob ich meinen großen Rucksack für die nächsten Stunden unterstellen könnte.
Mein Gepäck wird in einer Tonne neben dem Haus verstaut, dort kann ich es bei meiner Rückkehr wieder abholen. “Wir schließen bald und fahren mit dem nächsten Gegenzug nach Hause”, erklärt mir die Museums-Mitarbeiterin.
Hauptsache der Aufbewahrungsplatz aus Plastik ist wasserdicht. Wenige Meter weiter, noch nicht einmal am ehemaligen Stationsvorsteher-Haus vorbei, klatschen schon die ersten Tropfen auf den Asphalt. An der Hauptstraße warte ich im Station Inn den kurzen Schauer ab.
Dort ist überraschend viel los. Im dunkel eingerichteten Lokal sitzen ältere Herren vor dem Fernsehgerät und verfolgen mit einem Ale in der Hand ein Tennis-Turnier. Eine vergnügte Wandergruppe nutzt den Regenguss für die Mittagspause.
Wo kommen diese Menschen her? Weit und breit sind außer dem Bahnhof, dem ehemaligen Bahnhofswärter-Haus und dem Station-Inn keine anderen Gebäude zu sehen. Die Eisenbahn scheint hier Dreh- und Angelpunkt zu sein.
Von 1870 bis 1874 war hier in der Gegend jedenfalls viel mehr los. Damals wurde der Eisenbahn-Viadukt über das Tal gebaut und in Ribblehead befand sich ein Arbeiterlager.
Mit 24 Bögen und einer Länge von 402 Metern überspannt die Brücke das Tal in einer der rauesten Landschaften Englands.
Die Midland Railway baute die Strecke aus Konkurrenzgründen zur parallel zur weiter westlich verlaufenden West Cost Main Line, konnte sich aber nie behaupten. In den 1980er Jahren wurde die Bahnstrecke nach Protesten vor der Schließung bewahrt.
Die Schafe zeigen sich unbeeindruckt wenn 32 Meter über ihren Köpfen tonnenschwere Züge rollen. Für sie sind seltene, menschliche Besucher wesentlich interessanter.
Die Bauerbeiter waren Ende des 19. Jahrhunderts nicht zu beneiden. Mitten im Hochsommer pfeift mir hier der Wind um die Ohren.
Ich muss an Sibirien denken und möchte mir gar nicht vorstellen welche Witterungsbedingungen hier im Winter herrschen.
Die 117 Kilometer lange Strecke von Settle nach Carlisle zählt zu den schönsten Bahnstrecken Englands. Die Route führt durch abwechslungsreiche und gering bebaute Landschaft. Auf manchen Streckenabschnitten zeigt sich England von seiner rauen Seite.
Wer gerne einmal einen Eisenbahn-Stopp in einer kargen Landschaft einlegen möchte, dem kann ich Ribblehead empfehlen. Weite. Ruhe. Kein Handyempfang. Und viele Schafe.
Tipps für einen Bahn-Stopp in Ribblead:
- Direktzüge auf der Strecke fahren ab Leeds über Settle nach Carlisle.
- Unter der Woche halten 6 Züge pro Richtung in Ribblehead.
- Im Bahnhof Ribblehead befindet sich eine kleine Ausstellung über die Bahnstrecke und den Viadukt.
- Eine Übernachtung ist im Station Inn oder als Selbstversorger im ehemaligen “Station Master’s House” möglich.
- Die Bahnstrecke Settle – Carlisle zählt zu den schönsten Bahnstrecken Englands.
Die Erfahrungen, Tipps und Hintergrundinformationen in diesem Beitrag wurden im Rahmen einer individuellen Recherchereise mit dem Zug in Großbritannien recherchiert. ACP-Rail hat dafür einen Britrail Pass zur Verfügung gestellt. Wie immer bleibt meine Meinung in der Berichterstattung davon unberührt.
Alex says
Hat was. Ruhe satt, viel Natur und ein schönes Viadukt. Vor allem ist es schön, dass die Tiere – wie hier die Schafe – frei rumlaufen, ohne Zäune und Absperrungen.
Ein schönes, wenn auch karges, Plätzchen Erde da oben in Ribblehead! :)
Marianna says
Ich liebe Schafe! Aber leider sind die englischen ausgesprochen schüchtern ;)
Vanessa says
Sieht wirklich etwas einsam aus – aber dafür sehr fotogen. Liebe Grüße aus der Großstadt :) Vanessa
Andersreisender says
-Alex: Ich mag auch dieses “grenzenlose” Gefühl sehr gerne. Keine Barrieren oder Zäune und Weite. :-)
– Marianna: Stimmt – ganz nahe konnte ich nicht an sie ran. Dachte mir aber, dass Schafe generell so sind. Oder hast Du da andere Erfahrungen gemacht?
– Vanessa: Ein extremer Kontrast zu Städten ist die Landschaft rund um Ribblesdale tatsächlich. Ich mag beides sehr gern. :-)