Japan hat das beste Hochgeschwindigkeitszug-Netz der Welt. Nirgends sonst sind die Züge pünktlicher und zuverlässiger. Unter dem Namen Shinkansen fahren die japanischen High-Speed-Züge im Regelbetrieb bis zu 300 km/h schnell. Seit 1964 sind die ersten Bahnen unterwegs. Heute erreichen Bahnreisende mit dem Shinkansen viele wichtige Städte Japans.
Das über 2.200 Kilometer lange Streckennetz erstreckt sich derzeit über die zwei Hauptinseln Honshu und Kyushu im Süden. Eine Verlängerung auf die Insel Hokkaido im Norden ist geplant.
Doch wie ist nun das Fahrerlebnis für einen Reisenden, wenn er mit dem Shinkansen in Japan unterwegs ist? Hier ein Erfahrungsbericht von einer meiner Fahrten mit dem Shinkansen. Das Bild mit dem Lokführer und das Videos im Reisebericht stammen nicht von dieser Fahrt, sondern von der Strecke Tokio – Kyoto. Im Blog habe ich Dir übrigens einige Bahnreise-Tipps für Japan zusammengestellt.
Inhalt:
Im Shinkansen von Osaka nach Hiroshima
Etwa 25 Minuten vor Abfahrt des Shinkansen bin ich bereits am Bahnhof. Die Shinkansen-Züge fahren in Osaka nicht direkt vom Hauptbahnhof ab sondern von Shin-Osaka. Dieser Shinkansen-Halt liegt vier Minuten mit dem Zug von Osaka Hauptbahnhof entfernt.
Um zum Bahnsteig zu gelangen muss ich erst einmal durch die Sperrgitter im Bahnhof. Die Zugänge zum Shinkansen und auch die Bahnsteige sind baulich komplett vom restlichen Bahnnetz getrennt. Der Zutritt ist nur mit einer gültigen Fahrkarte möglich. Eine der günstigsten Möglichkeiten für Touristen durch Japan zu reisen ist übrigens der Japan Rail Pass. Die Bahn-Netzkarte für Japan ist auch in den Shinkansen-Zügen, mit Ausnahme des NOZOMI, gültig. Mit der Touristen-Bahnkarte können auch Sitzplätze kostenlos reserviert werden. Wenn Du nur einzelne Strecken mit dem Zug in Japan zurücklegen möchtest, dann bist Du mit Einzelfahrscheinen wahrscheinlich besser dran. Du kannst das z.B. auf dieser deutschsprachigen Buchungsseite* für verschiedene Strecken vergleichen.
Am Shinkansen-Bahnhof
Erst im Shinkansen-Bereich entdecke ich meinen Zug auf der Abfahrtstafel: Es ist der Shinkansen HIKARI Railstar 555 nach Hakata mit Abfahrt um 10:59 Uhr. Bahnsteig 20. Außerdem werde ich informiert, dass der Zug aus 8 Waggons besteht. Ich habe diesmal auf eine Reservierung verzichtet, darum darf ich nur in einen der ersten drei Waggons einsteigen. Die anderen Wägen sind Reisenden mit Sitzplatzreservierung vorbehalten.
Schlange stehen am Bahnsteig
Am Bahnsteig werden die nächsten von diesem Bahnsteig abfahrenden Züge angezeigt. Die Sanyo-Shinkansen-Strecke ist dicht befahren. Alle drei bis fünf Minuten verlässt ein Shinkansen-Zug den Bahnsteig. Am Bahnsteig 20 ist der nächste Zug allerdings schon der Shinkansen nach Hakata.
Ich suche den passenden Einstieg für die nicht reservierten Waggons. Auf den Bahnsteigen ist die Halteposition für jeden Waggon genau markiert. Leider sind diese Informationen manchmal nur in Japanisch und man ist auf fremde Hilfe angewiesen.
Der Einstiegspunkt ist genau am Boden gekennzeichnet, manchmal befinden sich auch Schilder an dieser Stelle angebracht. Darauf sind Zugname und Waggonnummer sowie reservierter Waggon, nicht reservierter Waggon oder erste Klasse (Green Car) zu lesen. Die Green Car sind am grünen Kleeblatt zu erkennen.
Eine Linie kennzeichnet den Wartebereich. Dort reiht man sich hinter die bereits wartenden Passagiere ein.
Ohne Reservierung im Shinkansen fahren
Bei den reservierten Plätzen bildet sich erst kurz vor der Abfahrt des Zuges eine Schlange. Anders ist das bei den frei verfügbaren Plätzen. Heute ist ein starker Reisetag und so warten bereits 15 Minuten vor Abfahrt einige Menschen in der Schlange. Wer zuerst kommt malt zuerst – und hat noch die Hoffnung auf einen Sitzplatz. Also reihe ich mich bei Waggon Nr. 2 in die Schlange der wartenden ein.
Züge werden gereinigt
Für meinen Hikari-Shinkansen ist hier in Shin-Osaka Startpunkt. In dem Moment, als ich vorhin über die Rolltreppe kam, ist er eingefahren. Nun kann ich beim Schlange stehen den Bahnmitarbeitern beim Reinigen der Waggons zusehen.
Innerhalb kürzester Zeit wird der gesamte Zug sauber gemacht. Müll wird entsorgt, Kopfbezüge werden gewechselt und die Armlehnen abgewischt. Jeder Mitarbeiter hat seine spezielle Aufgabe. Der Putztrupp hat dafür weniger als zehn Minuten Zeit.
Drei Minuten vor Abfahrt werden die Türen geöffnet und wir dürfen den Zug betreten. In alle japanischen Züge kann man stufenlos einsteigen. Dadurch ist der Fahrgastwechsel sehr schnell und der Zug bleibt oft nicht einmal eine Minute im Bahnhof stehen. Behinderten Fahrgästen, zB. Rollstuhlfahrern, hilft Service-Personal, das bei der Ankunft des Zuges bereits beim Waggon bereitsteht.
Raucher-Waggon im Shinkansen
Ich betrete den Waggon Nr. 2 und bin wegen des Rauchgeruchs überrascht. Tatsächlich: In manchen Shinkansen-Zügen darf noch geraucht werden! Ich bin schwer überrascht, dass es so etwas in “westlich” orientierten Ländern überhaupt noch gibt.
Nachdem sich bereits während meiner Überlegungen zwei Mitreisende eine Zigarette anstecken beschließe ich einen Waggon weiter zu gehen. Freie Sitzplätze sind mittlerweile Mangelware, aber beim alleine Reisen ist man doch etwas flexibler und findet immer ein Plätzchen. Bei Raucherwaggon Nr. 2 werde ich mich zukünftig nicht mehr in die Reihe stellen.
Genug Stauraum
Für meinen großen Rucksack ist in der Gepäckablage genügend Platz. Auch der Bereich bei den Beinen ist sehr großzügig dimensioniert. Meine Kameratasche und mein kleiner Rucksack haben dort noch problemlos Platz und ich kann – trotz meiner 1,90 Meter Körpergröße – noch immer angenehm sitzen.
Abfahrt mit Pfiff
Während ich noch mit dem Verstauen meines Gepäcks beschäftigt bin kümmern sich einige Bahnangestellte um die Abfahrt des Zuges. Ein Blick auf die Uhr – es ist exakt 10:59 Uhr. Mit einem kräftigen – aber altmodischen – Piff in eine Pfeife wird vom Schaffner die Abfahrt des HIKARI Railstar 555 angekündigt. Andere Mitarbeiter am Bahnsteig achten darauf, dass die Abfertigung ordnungsgemäß abgeschlossen wird.
Der Shinkansen setzt sich in Bewegung, die ersten Meter beobachtet der Schaffner noch den Bahnsteig vom Zug aus. Dann flitzen wir mit immer höherer Geschwindigkeit dahin.
Reisen mit High Speed
Innerhalb weniger Minuten haben wir unsere Reisegeschwindigkeit irgendwo zwischen 250 und 300 km/h erreicht. Wir gleiten durch das gebirgige Japan auf einer sehr geraden Strecke. Die Landschaft zieht schnell an uns vorbei. Die Fahrt im Shinkansen fühlt sich schon eher an wie Fliegen als Bahnfahren. Die Sitze sind in Zweier- und Dreiergruppen angeordnet. Auch die Fenster haben eine Ähnlichkeit mit jenen in einem Flugzeug.
Die Waggons werden von einer Klimaanlage gekühlt. Auch bei entgegenkommenden Zügen verschlägt es dem Fahrgast nicht die Ohren. In kurzen Abständen sausen Shinkansen-Züge am Gegengleis vorbei. Die Hauptinsel Honshu ist dicht verbaut. Lange Strecken führen durch Städte und Siedlungen. Die Strecke führt auch durch viele Tunnels.
Reiseverpflegung Bento-Box
Ich klappe das kleine Tischchen vor mir herunter, denn es wird Zeit für meine Reiseverpflegung: Meine Bento-Box habe ich vor Abfahrt in Shin-Osaka gekauft. Diese Lunchboxen mit verschiedenen, kleinen, japanischen Köstlichkeiten kann man auf allen größeren Bahnhöfen kaufen. In jeder Stadt wird die Box anders zusammengestellt. Wen wundert es, dass auf meiner Bento-Box heute die Burg von Osaka abgebildet ist.
In der Bento-Box befinden sich eingelegtes und frisches Gemüse, zwei Fangarme eines Tintenfischs, ein Stück gebackenes Schweinefleisch am Spieß, manch unbekanntes und einige Portionen Reis und etwas Süßes. Nicht zu vergessen die Essstäbchen, ein Zahnstocher und ein Erfrischungstuch. Damit ist man für eine gute Reisemahlzeit bestens gerüstet.
Plötzlich bin ich besorgt: Bin ich – abgelenkt vom vielen Erzählen und Essen – schon versehentlich an Hiroshima vorbeigefahren?
Nein – ein paar Minuten habe ich noch Zeit. Auch im Zug findet man sich als Tourist gut zurecht. Die jeweils nächste Station ist als Laufschrift in Englisch zu lesen. Auch Durchsagen weisen wenige Minuten vor dem nächsten Halt auf die Station hin. Die meisten Beschriftungen im Zug sind ebenfalls in englischer Sprache.
Ticket beim Ausgang abgeben
Auf die Minute pünktlich fahren wir im Bahnhof Hiroshima ein. Bevor ich noch die Rolltreppe erreiche pfeift der Schaffner für die Abfahrt.
Übrigens: Beim Ausgang wird das Ticket bei der Ausgangssperre eingezogen. Wer seine Fahrkarte – zB. für die Abrechnung – mitnehmen möchte, muss sie beim Bahnpersonal am Ausgang mit einem Stempel entwerten lassen.
Zahlen und Fakten
Nach 89 Minuten, also knapp eineinhalb Stunden Fahrzeit, treffe ich in Hiroshima ein. In dieser Zeit hat der Shinkansen HIKARI Rail Star zwischen Shin-Osaka und Hiroshima 341,6 Kilometer zurückgelegt. Inklusive Zwischenstopps in Shin-Kobe, Okayama und Fukuyama entspricht das einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 212 Stundenkilometern.
Christian says
Beeindruckend, wie die Japaner das alles organisiert haben. Manchmal finde ich es aber fast schon beängstigend, denn das funktioniert alles nur mit enormer Disziplin…
Sven says
@Christian: Na genau dafür sind die Japaner doch bekannt. Anders lässt sich auch der durchschnittliche Urlaub von nur 10 Tagen im Jahr nicht aushalten…
Warum sind eigentlich die Hochgeschwindigkeitszüge in anderen Ländern um so vieles schicker als der heimische ICE? Da sollte sich die Deutsche Bahn doch echt mal ein Beispiel nehmen… ;-)
Grüße
Sven
Christian says
@Sven: War mir schon bekannt. Aber hier scheint es erst so positiv…
Noch ein unschönes Detail zu Japan, das ich tatsächlich nicht wusste: http://bit.ly/todesstrafejpn
Sven says
@Christian: Ja, trauriges Detail. Aber Japan steht da nicht ganz alleine da. Die USA töten genauso, wie auch Ägypten (zuletzt 2008), China (immer mal wieder) und man höre und staune Thailand (2009). Eine interessante Übersicht gibts hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Todesstrafe#L.C3.A4nderliste
Offensichtlich sind die Japaner in allem so diszipliniert. Auch im Hinrichten…
Servus.
Sven
Grilli says
Das mit der Reise-Jausenbox wäre ja auch eine Marktlücke in Österreich. Das könnte dann auch in jedem Bundesland anders ausschauen: In Wien mit Schnitzel und Mannerschnitten, in Linz gibt’s dann Leberkäs vom Leberkas-Pepi und eine Linzertorte und in Salzburg eine Bosna vom Balkangrill und Mozartkugeln. Nur so eine Idee…
Übrigens, der Grund warum die Züge in Japan so pünktlich sind, ist wahrscheinlich weil die Inseln keinen grenzüberschreitenden Verkehr kennen. Da gibt’s keine “verspätete Übergabe am Grenzbahnhof”…
Andersreisender says
@Christian & Sven: Also ich kann es auch nicht ganz verstehen, dass in unserem schönen Europa die Bahnen immer mehr versiffen und alles andere als pünktlich und kundenfreundlich sind. Mir fällt auf, dass in letzter Zeit die Waggons der ÖBB außen und innen schmutziger sind als jene aus dem “Osten”. Nur, um mal die Klischees umzudrehen…
@Grilli: Das fände ich eine super Idee! Hätte eh auch schon darüber nachgegrübelt – ich finde, da würde sich für Österreich einiges machen lassen. Oder was hältst Du von speziellen “Themenrestaurant-Speisewägen”. Wäre vielleicht auch eine lustige Idee und ein spezieller Anreiz um einen ganz bestimmten Zug für die Reise zu wählen.
Die Sache mit den Verspätungen ist sehr komplex. Auffällig ist aber, dass trotz dichter Zugfolge auf Hochgeschwindigkeitsstrecken und kurz berechneten Zwischenhalten die Züge fast auf die Sekunde pünktlich sind. Das wird doch annähernd auch in Österreich möglich sein. Ich darf gar nicht an meinen ersten Reisetag denken – 45 Minuten in Selzthal warten ohne irgendeine Information. Und dann unklimatisierte Regionalzugwägen an Stelle des “Qualitätszug” Eurocity. Da wundert man sich, dass keiner mehr Bahn fahren will?
zoomingjapan says
Ich bin schon unzählige Male in alle Ecken Japans mit sehr vielen verschiedenen Shinkansen gefahren. Außerdem sehe ich den Shinkansen jeden Tag, weil er direkt vor meinem Haus vorbeidüst. :)
Ich liebe das Zugsystem hier in Japan – da könnte sich Deutschland ruhig mal eine Scheibe abschneiden.
Andersreisender says
Zoomingjapan: Ja, der Shinkansen in Japan hat schon was. Liebe Grüße nach Japan!
Sabine Störmer says
Hallo Gerhard,
kannst du mir sagen, ob man mit einem Shinkansen-Ticket die Fahrt unterbrechen darf? Ich möchte ein Ticket für die Strecke Tokyo-Hiroshima kaufen, aber die Reise in Osaka unterbrechen, um Nara, Kobe und evtl. Himeji zu besuchen. Einzeltickets wären natürlich viel teurer! Ein Japan-Rail-Pass kommt für mich nicht in Frage, da ich dafür nicht das richtige Visum habe.
Dein Blog ist sehr informativ, ich bin froh, ihn entdeckt zu haben! Danke schonmal im Voraus für deine Antwort!
Herzliche Grüße
Sabine
Andersreisender says
Hallo, Sabine! Ojegerl… da muss ich nun passen. Ich würde vom Gefühl her sagen “nein” – das mit den Fahrtunterbrechungen funktioniert so nicht.
Aber kennst Du das Seishun 18 Kippu Ticket? Ich habe vor einigen Tagen davon gelesen. Du darfst zwar nur langsame Züge in Japan benützen, aber dafür ist die Fahrt um einiges billiger.
Sabine Störmer says
Hallo Gerhard, vielen Dank für die prompte Antwort. Ich fürchte auch, dass man nicht unterbrechen darf. Werde mal einen Japaner mit der Frage konfrontieren.
Herzlichen Glückwunsch zum 5-jährigen Bestehen deines Blogs und weiterhin viel Spaß auf deinen Reisen!
Sabine
Andersreisender says
Ansonsten direkt bei JR nachfragen – die haben bestimmt auch Infos. :-) Danke für Deine Glückwünsche und ebenfalls viel Spaß bei der Reiseplanung und Reisen.