In Vietnam fallen sie im Stadtbild sofort auf: Die in rosa, blau und gelb gehaltenen Tempel der Cao Dai Religion. Je nach Quelle spricht man von 800.000 (Quelle leider nicht mehr verfügbar) bis zu schätzungsweise drei Millionen Anhänger des Caodaismus.
Das religiöse Zentrum der farbenfrohen Religionsgemeinschaft – Cao Dai wird manchmal auch als Sekte beschrieben – befindet sich in Tay Ninh, etwa 90 Kilometer nördlich von Ho-Chi-Minh-Stadt. Die Gebetszeremonien finden täglich um 6, 12, 18 und 24 Uhr statt.
Kurz vor Mittag mache ich mich zum Cao Dai Tempel in Tay Ninh auf. Eigentlich gleicht der 140 Meter lange Bau mit seinen zwei Türmen einer Kirche. Schon die Gebäude und Statuen im vorgelagerten Park stimmen auf das ein, was mich im Inneren der Kirche erwartet.
Die Gotteshäuser der Cao Dai zu den farbenprächtigsten weltweit, aber über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.
Mancher Architektur-Liebhaber nimmt beim Anblick der farbenfrohen Tempel Worte wie “Kirmes-Architektur” oder “Disneyland” in den Mund.
An einem Seiteneingang ist ein langer, bunter Teppich ausgerollt. An dessen platzseitigen Ende warten Flipflops und geschlossene Straßenschuhe auf ihre Besitzer.
Auch meine Trekking-Sandalen werden hier für die kommende Stunde abgestellt. Barfuß betrete ich den Tempel. Einige Diener warten bereits auf die Gebetszeremonie, die um punkt zwölf Uhr angesetzt ist.
Im Inneren des Tempels setzt sich das farbenfrohe Bild fort. An Säulen ranken sich Drachen empor und auch die “Heiligenfiguren” kamen dem zuckerlfarbenen Anstrich nicht aus. Im Zentrum der Gebetshalle befindet sich das “göttliche Auge”, durch das Gott symbolisiert wird.
Der Caodaismus ist eine Vermischung von verschiedenen religiösen Philosophien zu einem neuen Weltbild. Im 1926 gegründeten Caodaismus finden sich Lehren des Christentums (durch Jesus), Taoismus (durch Laozi), Konfuzianismus (durch Konfuzius) und Buddhismus (durch Buddha).
Dem nicht genug. Unter den „hohen Geistern“ des Caodaismus befinden sich u.a. Isaac Newton, die Jungfrau von Orleans, Sun Yat Sen und Victor Hugo.
Das ist alles nicht ganz einfach zu verstehen und auf den ersten Blick verwirrend. Auf einem Bild im Eingangsbereich sind Victor Hugo (französischer Dichter), Sun Yat Sen (Führer der Chinesischen Revolution) und Trạng Trình (vietnamesischer außerordentlicher Professor und Dichter) schreibend zu sehen.
“Gott und die Menschheit” sollen die caodaistische Gottesverehrung und “Liebe und Gerechtigkeit” das Gesetz und Prinzip der Caodaismen ausdrücken. Armut, Nächstenliebe, Vegetarismus, ein Leben ohne Alkohol und Selbstlosigkeit gelten als moralische Grundsätze und Pflicht der Anhänger.
Die Hierarchie der Cao Dai ist nach dem Vorbild der katholischen Kirche aufgebaut.
Kurz vor zwölf Uhr betreten Priester und Gläubige die Gebetshalle. Männer in den weißen Gewändern nehmen rechts, Frauen links Platz.
Priester in verschiedener, hierarchischer Abstufung repräsentieren mit ihren Gewändern die unterschiedlichen Lehren im Caodaismus. Gelbe Gewänder stehen für den Buddhismus, blaue für den Taoismus und Priester in roter Robe repräsentieren das Christentum.
Die Gebetszeremonie an sich empfinde ich als sehr ruhig, ohne große Höhepunkte. Leise Phasen wechseln sich mit musikalischen Abschnitten. Auf der Empore wird auf vietnamesischen Instrumenten gespielt und dazu gesungen.
Besonders einprägsam ist für mich ein Gong, der in regelmäßigen Abständen erklingt. Im selben Moment verneigen sich die Gläubigen.
Besonders überrascht bin ich über die Offenheit gegenüber Gästen in diesem Gotteshaus. Leider wird diese von vielen Besuchern nicht mit dem nötigen Respekt gewürdigt.
Im Zehn-Minuten-Takt werden Busgruppen durch das Gebäude geschleust. Einige Touristen schaffen es leider im Tempel während einer Zeremonie nicht für wenige Minuten die Gespräche einstellen.
Tipps für den Besuch des Cao Dai Tempels in Tay Ninh:
- Individuelle Anreise von Ho-Chi-Minh-Stadt nach Tay Ninh: Busse fahren regelmäßig in Ho-Chi-Minh-Stadt vom An Sương Busbahnhof (Bến xe An Sương) ab. Fahrpreis 70.000 VND.
- Übernachtung in Tay Ninh in einem der wenigen Gästehäuser und Hotels, ca. zwei Kilometer vom Busbahnhof entfernt.
- In Tay Ninh keine hohen touristischen Ansprüche haben. Einfache Cafés, Straßenküchen und Restaurants und auch Geldautomaten decken die Grundbedürfnisse ab.
- Fahrt zum Cao Dai Tempel entweder mit Moped-Taxi oder mit Bus Nr. 4 Thi Xa Tay Ninh – Go Dau.
- Organisierte Bustouren ab Ho-Chi-Minh-Stadt kombinieren den Besuch des Cao Dai Tempels in Tay Ninh mit den Cu Chi Tunnels. Wie schon erwähnt bleiben für den Besuch im Tempel meist nur wenige Minuten. Die meisten Gruppen kommen wenn die Zeremonie bereits begonnen hat.
Richard says
@Andersreisender: Vielen Dank für Tipps die sehr wichtig für die Reise nach Tay Ninh sind!Bilder finde ich auch schön! Interessant ist auch “Bericht der drei Heiligen: Sun Yat Sen, Victor Hugo und Trang Trin” -> Da ist doch einer Europäer drauf oder?
Gruß Richard
Marianna says
Kirmes Architektur :) Ja, so schaut’s aus, aber geschmackliche Ästhetik ist halt überall anders. Was gut ist!
Und ein peinliches Geständnis muss ich machen, ich hab vom Caodaismus noch nie was gehört.
Andersreisender says
@Richard: Ja, Victor Hugo war französischer Schriftsteller und gehört zu den “hohen Geistern”.
@Marianna: Der Anblick ist in der Tat gewöhnungsbedürftig. Macht nichts, wenn Du sie bisher nicht kanntest. Ich habe auch erst bei meinem Besuch in Vietnam zum ersten Mal von der Cao Dai Kirche hörte. ;-)
Max says
Die Prinzipien hören sich ja ganz gut an. Bist du schon konvertiert? Ich habe immer so meine Probleme meine Schuhe vor Gebäuden ausziehen. Ich glaube dann immer, dass sie beim Rauskommen nicht mehr da sein werden. ;-) Bist jetzt hat sich diese Angst aber nicht bestätigt.
Kathrin says
Ich muss mich den Vorrednern anschließend, von dieser Religion habe ich bislang nichts gehört. Aber dennoch ein sehr interessanter Bericht.
lg kathrin
Andersreisender says
@Max: Das Schuh-Gefühl kenne ich. Wenn es bloß billige Flip-Flops sind könnte man einen Verlust ja noch verkraften – aber um meine schönen Trekking-Sandalen täte mir schon leid.
Nein, ich bin noch nicht konvertiert. Ich bleibe nach wie vor allen Religionen gegenüber offen. ;-)
@Kathrin: Macht nichts – es ist doch immer wieder schön Neues zu entdecken, oder?
Natalie says
beim “Schuhe abgeben” kann ich auch mitreden: auch in Moscheen ist es ja üblich, die Schuhe auszuziehen.
In der Omajjaden-Moschee in Damaskus mit etlichen hundert Besuchern wurden die Schuhe von Mitarbeitern der Moschee eingesammelt und in Regale geräumt. Am meisten fasziniert hat mich, dass mir beim Verlassen der Moschee – nach gut 2 Stunden – ohne Nachzufragen die richtigen Schuhe ausgehändigt wurden! Der gute Mann muss ein fabelhaftes Gedächtnis haben, bei den Menschenmassen, die jeden Tag diese Moschee besuchen. Schließlich ist es die drittheiligste Stätte im Islam…
Andersreisender says
@Natalie: Respekt – die haben in Damaskus ja voll den Durchblick! Also meine Schuhe standen weitgehend ungeschützt im “Haufen” vor dem Eingang. Da hätt’s auch leicht sein können, dass die jemand anderer mitnimmt. Wäre natürlich sehr ärgerlich gewesen. :-(