„Oh my Buddha!“ höre ich von weitem rufen. Mein vietnamesischer Freund Duc nimmt seinen Motorradhelm ab und grinst über beide Ohren. „My brother, come to my house to celebrate Tet“ begrüßt er mich mit einer überschwänglichen Umarmung.
Ist der Abend vor dem neuen Jahr der Familie vorbehalten, werden in Vietnam am Neujahrstag nach dem chinesischen Mondkalender Gäste eingeladen. Glücksbringende Ausländer sind als Tet-Fest-Besucher besonders begehrt.
Zahlreiche Tet-Bräuche und Regeln
Bevor es mit der Einladung soweit ist habe ich mich nochmals mit den Bräuchen und Sitten vertraut gemacht. Es dürfte es nicht allzu viele Fettnäpfchen geben, in die ich treten könnte. Die Tet-Geschenke sind schon gekauft, der Friseurtermin erledigt und auch die Kleidungsempfehlung, nichts Weißes anzuziehen, habe ich ebenfalls befolgt. Ein grau-oranges Poloshirt lässt sich ohnedies leichter zur langen, beigen Hose kombinieren.
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Mit der Palette Bier, mir und der Tasche mit den Geschenken am Sozius fährt Duc zu seinem neuen Haus. Es liegt etwa sieben Kilometer außerhalb der Stadt in einer kleinen Siedlung. Erst seit eineinhalb Monaten lebt er mit seiner Familie dort. Sein altes Haus fiel dem Neubau einer breiten Straße zum Opfer. Noch gibt es im Neubaugebiet viele Lücken zwischen den schmalen Einfamilienhäusern, das wird sich aber bald ändern.
In Vietnam wird Privatsphäre völlig anders definiert als in Mitteleuropa. Von der Straße gelange ich unter prüfenden Blicken der Nachbarn direkt ins Wohnzimmer der Familie.
Drei Stufen über Straßenniveau begrüßen mich seine Frau Phuong und sein sechsjähriger Sohn Phap im hell gefliesten Wohnraum. Eine von Ducs Schwestern sowie sein Schwager und ein Easy-Rider Freund sitzen im Kreis am Boden, um die Tet-Speisen in der Mitte. Ich geselle mich im Schneidersitz dazu.
Während Mr. Bean britischen Humor zum Besten gibt spielen die Kinder unbeeindruckt vor dem Fernsehgerät mit Legosteinen. Einige Freunde und Nachbarn und ein australisches Paar, das für die nächsten Tage eine Easyrider Tour gebucht hat (Glücksbringer) ist noch für den Abend angekündigt.
Essen & trinken
Phung bereitet in der kleinen Kochnische immer wieder neue Speisen vor. Ein frisch gekochtes Huhn findet ebenso seinen Weg in die Mitte des Kreises wie ein Meeresfrüchte-Salat und Phở. Duc legt mir immer wieder Leckerbissen in die Reisschale.
Außerdem darf Bánh Chưng beim Tet-Fest nicht fehlen. Der traditionellen Kuchen zum Fest ist eine Masse aus Klebereis und Fleisch die in große Bananenblätter rechteckig eingewickelt ist.
Duc öffnet den Kühlschrank zum Dosenbiernachschub im Minutentakt, auch die mitgebrachte Palette ist schon eingekühlt. Währenddessen verteilen die Kinder einen Teil der gerösteten Melonenkerne im Wohnzimmer, die mitgebrachten Süßigkeiten teilt Phap mit den Nachbarskindern. Neugierig beobachte ich, ob jemand die kleinen, braunen Kerne zusammenkehrt. Laut Buch ist das heute streng verboten, um nicht das Glück aus dem Haus zu kehren.
Glück am ersten Tag des Jahres
Die Kerne bleiben liegen. Zumindest eine Zeit lang, bis ich sie am Abend auf einem Häufchen in einer Ecke des Wohnraums wiederfinde. Aber auch Ducs schwangere Schwester trägt ein weißes Hemdchen und die Männer kommen teilweise in kurzen Hosen zu Besuch. Vermutlich wäre ich bequemen Shorts hier nicht unangenehm aufgefallen.
Vor dem Haus stehen gelbe Blumen und auch beim Nachbarn leuchten die Blüten eines meterhohen Stocks aus dem Wohnraum. In der hängenden Obstschale wiegt eine große, verzierte Melone. Darüber sind auf dem Rot und Gold verzierten Windspiel die Worte Chúc, mừng, năm und mới zu lesen – man wünscht ein gutes, neues Jahr.
Keine Tet-Fest Einladung ohne Musik
Auch im neuen Jahr wird die Karaoke-Stimme trainiert. In einem gelben, dicken Katalog sucht Phuong die Lieblingslieder der Familie aus. Es gibt fast nur vietnamesische Titel bei denen Duc und die anderen oft sehr textsicher mitsingen.
Sein Schwager drückt mir das Mikrofon in die Hand: Nun bin ich an der Reihe. Was? Ich kann doch nicht singen! Zumindest denke ich mit Schrecken an meine erste und letzte Karaoke Performance in der Halong Bucht zurück. Damals hatten so manche Gäste Tränen in den Augen.
Gottseidank sollte die Prüfung nicht allzu schwer ausfallen: „We wish you a Merry Christmas“ erscheint als Titel auf dem Monitor. Das ist zu schaffen und so wünsche ich singend „…and a happy New Year“.
Phung tischt zum Abendessen wieder Leckereien auf und der Abend verläuft entspannt. Immer wieder kommen Freunde aus der Nachbarschaft. Sie bringen Bier-Nachschub. „Tiger-Bier“ zwischen großen Eisblöcken im Kübel.
„Chúc mừng năm mới!“ Spätestens jetzt gehen mir die hundertmal ausgesprochenen Glückwünsche für ein gutes, neues Jahr fließend über die Lippen.
Duc verwandelt am Abend seinen Wohnraum in eine Discothek. Rote und blaue Lichtpunkte tanzen über den Boden und die Wände. Die Karaoke-Anlage wird bis zum Anschlag aufgedreht.
“Một, hai, ba, Yoo!” prostet mir ein Freund zu. Der Fischer hat früher mit Duc auf einem Boot zugearbeitet. Seine rauhen, kräftigen Hände zeugen von schwerer Arbeit. Er zieht mich auf die “Tanzfläche”. Gemeinsam wird getanzt, die Kinder mittendrin statt nur dabei.
Duc ist für jeden Spaß zu haben und wird anscheinend niemals müde. Ob das Tet-Fest bei anderen Familien auch so turbulent abläuft? Das kommt wahrscheinlich aufs Temperament der Gastgeber an. Etwas Ruhe kehrt bei den traditionellen Tempel- und Friedhofsbesuchen ein.
Chúc mừng năm mới!
Wurdest Du schon einmal zum Tet-Fest eingeladen? Erzähle uns von Deinen Erfahrungen und Erlebnissen.
Im Blog findest Du auch einen Beitrag mit wertvollen Tipps für Deine Reise während des Tet-Fests. Und wie ich das Tet-Fest in Ho-Chi-Minh-Stadt erlebt habe, kannst Du in diesem Video vom Tet-Fest in Saigon sehen.
Christina says
Hach, da wäre ich soooo gerne dabei gewesen. Und wie man sieht, doch nicht so unterschiedlich wie hier (bis auf die Temperaturen und dem Karaoke): Viel Alkohol, viel Essen! :D
Liebe Grüße
Christina
PS: Die 5°C sind noch nicht angekommen. Ich glaube das waren Minusgrade, die du geschickt hast… brrr.
Alex says
Na dann mal ein schönes Fest.
Und den kleinen Karaoke Star sehen wir bestimmt bald auf Youtube! ;)
Max says
Ziemlich kurios was die Menschheit so an Neujahrstagen macht. Aber schön zu sehen, dass es nicht allzu große Unterschiede gibt. Ich hoffe du hast deine Aufgabe als glückbringender Ausländer gut erfüllt.
Andersreisender says
@Christina: Stimmt – viel zu essen und Alkohol gibt’s bei uns zu Weihnachten und Silvester auch. Die Familie war übrigens am Vormittag am Friedhof bei den Ahnen. Pagodenbesuche sind zum Tet-Fest auch üblich. Also auch ähnlich wie bei uns zu Weihnachten. ;-)
Übrigens: Nächste Woche soll’s milder werden!
@Alex: Meinst Du wegen des Karaoke-Stars auf Youtube mich oder den kleinen Phap? ;-)
@Max: Ich denke, ich war ein gutes Glücksschweinderl. Habe den ganzen Tag gelacht und kein böses Wort kam über meine Lippen. :-)
Alex says
Den kleinen Phap! :)
Auf Youtube kommen Musik-Videos sehr gut an und kleine Kinder sind sowieso immer die größten Stars. Somit hätte man hier mit ihm den geborenen Youtube-Hit! :D
Andersreisender says
@Alex: Uii… da hätte ich ihn etwas länger filmen sollen. Ich glaube, dass mein Video-Schnipsel nicht für Youtube reicht. Wer weiß, vielleicht habe ich ihm damit eine vietnamesische Gesangskarriere verbaut. :-(
Johannes says
Kann total bestätigen, dass Karoake in Asien eine Riesen-Nummer ist. Ich weiß noch als ich in Japan in 2005 war, sind wir jeden Samstag Abend in eine Karaoke Bar gegangen. Eine andere Möglichkeit gab es gar nicht…
Was ich nicht wußte: Auch in der Ukraine ist Karoake total beliebt. Bin zum ersten Mal hier (in Odessa gerade) und sehe auch an jeder Ecke eine Karaoke Bar. Zum Glück musste ich hier noch nicht singen ;) Und meine Gastfamilie hat zum Glück kein Fernsehen!
Kathrin says
Das Tet-Fest scheint ein richtiges Erlebnis gewesen zu sein. Es ist immer wieder interessant andere Kulturen in dieser Form zu erleben.
lg kathrin
mac says
Freut mich, dass du soviel Spaß und vorallem Alkohol hast! ;-)
By the way, könnte ich der Bitte von Christina Nachdruck verleien noch ein bisschen mehr Sonne zu schicken? Es sind nicht nur Minusgrade, es schneit sogar! ;-)
Also irgendetwas ist schief gelaufen beim Schicken der Sonne, bitte nochmal!
Gruß
Matthias
P.S: was heißt der letzte Satz im Artikel?
philtek says
Wieso ruft der Mann “Oh my Buddha!” wenn er Dich sieht. Bist doch gar nicht dick. Kann ja aber noch kommen bei den Massen an Essen.
Gruß und Danke für die interessanten Eindrücke
philtek
Andersreisender says
@Kathrin: Ja, war ein tolles Erlebnis. :-) Es ist merkwürdig: Wenn man mittendrin ist und “mitmacht”, kommt es einem gar nicht fremd vor. Erst wenn ich später wieder die Bilder sehe denke ich “crazy”.
@Matthias: Das Internet dürfte zum Sonne- und Temperaturen-Schicken etwas unzuverlässig sein. Darum habe ich entschieden, mich selbst auf den Weg nach Mitteleuropa zu machen. Mit einem Sack Sonne im Gepäck. Ab 1.3. wird’s dann wärmer, versprochen!
“Chúc m?ng n?m m?i!” heißt “Happy New Year!”
@Philtek: Hmm… wenn ich so an mir hinabblicke muß ich feststellen, dass ich in den vergangenen Monaten etwas zugenommen habe. Viele meinen, dass sie in Südostasien abnehmen – bei mir ist wegen des tollen Essens das Gegenteil der Fall. Auch außerhalb von Tet. Buddha-Figur habe ich gottseidank noch keine. Aber was noch nicht ist…