Ich finde eine Message auf meinem Handy. Man heisst mich in Schweden herzlich Willkommen und informiert mich ueber die gueltigen Handy-Tarife. Aha…wo kommt die her? Aber egal – erst mal waschen (habe gestern entdeckt, dass sich mein Tischchen im Abteil zu einem Waschbecken umbauen laesst) und Rucksack fertig herrichten. Der Schaffner informiert mit Klopfzeichen und auf Russisch, dass wir kurz vor Moskau sind. Ich mache das Licht im Abteil aus, damit ich besser hinauss sehen kann.
Es ist 7:45 und noch immer stockdunkel. Wir fahren durch Moskauer Vororte. Rush-Hour. Menschenmassen stroemen zu den Vorortebahnhoefen, um mit den Elektritschkas zur Arbeit zu fahren. Der Schnee glitzert, als waere er Zuckerguss. Wahrscheinlich hat es in der Nacht in Moskau geregnet und das Wasser ist gefroren. Die Leute gehen sehr vorsichtig, daher koennte die Vermutung stimmen. Wir fahren auch bei der neuen Moskau-City mit ihren modernen Wolkenkratzern und Glaspalaesten vorbei. Sie geben fuer eine Welstadt mit mehr als 11 Millionen Einwohnern einen tollen Empfang. Oder bin ich doch versehentlich in New York?
8:05 Moskau Belarusskaja. Wir sind auf die Minute puenktlich angekommen. Jetzt habe ich den sauschweren Rucksack wieder auf dem Buckel. “Schnell Rubel vom Bankomat holen und dann ab in die U-Bahn und eine Station weiter bin ich dann auch schon da” denke ich bei mir und die Last fuehlt sich schon nicht mehr so schwer an. Gleich beim Ausgang entdecke ich auch schon ein Schild auf Russisch “BANKOMAT” (muesst Ihr Euch jetzt Kyrillisch vorstellen). Super – rein in die Halle, aber wo ist der bloede Automat? Wieder raus auf den Vorplatz und in den anderen Eingang hinein – nein hier ist der Metro-Ausgang. Ich werde schon leicht zornig – der Rucksack haengt sich an. Ich brauche ja bloss ca. 50 Cent um mit der U-Bahn fahren zu koennen, die wuerden mir schon reichen. Alles weitere kann man ja nachher ohne Schwergepaeck organisieren. Ich frage einen Passanten “ah ja, da hinten vielleicht…” – sehr hilfreich.
Dann sehe ich durch die Scheiben im Bahnhofsgebaude einen Bankomat stehen. Ich stuerme voller Freude zum Eingang – verschlossen und auch mit Gittern versperrt. Ich denke mir noch “Deppen”, dann zieht es mir auch schon fast die Beine vom Boden weg. Ueber das blanke Eis trappse ich vorsichtig die Stiegen hinunter und suche einen anderen Zugang. Aber auch mit diesem Bankomat habe ich Pech: Bei den beiden Damen vor mir und bei mir “Time Out Error” – wieder kein Geld. Ich frage die eine Dame, ob sie ein anderes Geraet wisse. “Ja, da hinten ueber den Platz, aber doch schwer zu finden…”. Jaja, hatten wir ja schon. Da geh’ ich lieber selber auf die Suche. Nach weitern 15 Minuten finde ich endlich nach einem weiteren defekten Geraet (out of order) einen Bankomat gefunden, der funktioniert. Erleichtert mit 10.000 Rubel in der Tasche trete ich den mittlerweile schon recht weiten Weg zurueck zur Metro an (aktuelle Reiseinfos zur U-Bahn findest Du im Beitrag Metro Moskau: Reisetipps & Sehenswürdigkeiten).
Die naechste Herausforderung: Anstellen in der Schlange und bei einer der Kassendamen gleich eine Zehnerkarte kaufen. Ging leichter als ich dachte, 200 Rubel schon wieder ausgegeben. Ich bin von der Schoenheit der Station gleich sehr beeindruckt, aber ebenso erdrueckt mich mein Rucksack fast. Zum schwaermen bleibt spaeter Zeit denke ich und versuche das kyrillische Kauderwelsch zu entziffern. Na hurra, da macht sich doch das Lernen vom Vortag bezahlt. Leider sind die Wege nur sehr schlecht beschildert. Ich entdecke ein Schild auf dem meine Station bzw. die Richtung steht mit einem Pfeil. Ich gehe dieser “heissen Faehrte” nach und komme zur Rolltreppe nach oben auf der anderen Seite des Bahnsteigs. Dort sitzt eine dicke Rolltreppen-Aufpasserin in einem Glashaus. Ich frage, ob es hier zur Linie 2 geht. Antwort “da, da” und deutet die Rolltreppe rauf. Bin ja schon skeptisch, wenn wer nur “ja, ja” sagt, man kennt das ja schon vom Bahnhof. Nun gut, die wird’s schon wissen: Rolltreppe rauf und ich hatte schon meinen ersten Fahrschein verspielt, weil ich aus der U-Bahn wieder draussen war.
Zweiter Anlauf: Diesmal vorher Glashausfrau bei der Sperre fragen. Grosse, schoene Augen aber leider keine Antwort. Ich gebe mein 21-Kilo-Trumm vom Ruecken, suche nach dem Moskau-Fuehrer, um ihr den Metroplan zeigen zu koennen. Ich zeige auf die Endhaltestelle, sie sieht den Plan an, als wuerde sie ihn zum ersten mal sehen. Nach ca. 10 Sekunden ein entzuecktes “da, da” mit einer Handbewegung nach vorne und Schwenk nach unten rechts. Das hilft – ich bin guter Dinge, gehe mit meiner mittlerweile nur noch 9er-Karte durch die Sperre und hinab, vorbei an der Rolltreppenglashausfrau. Dann entdecke ich mit den Schildern auch die Abzweigung: Etwa in der Mitte des Bahnsteigs fuehrt eine Treppe weiter ueber die Gleise. Auf Grund der Menschenmassen in der Frueh habe ich diese Niesche voellig uebersehen. Ausserdem entspricht es auch nicht meiner bisherigen U-Bahn-Logik, dass man DORT einen Aufgang macht. Aber gut. Das ist Moskau und nicht Wien, auch nicht Berlin und schon gar nicht Mailand oder Barcelona.
Nun passt alles, eine Station gefahren, Wegbeschreibung perfekt. Ich komme zu einem Haus, mit dem genannten Code von der Reservierung geht die Tuere auf, ich gehe in das abgesiffte Treppenhaus (angeblich Standard in Moskau), klingle total durchgeschwitzt an Tuer Nummer 9 – und keiner macht auf. Ich haette an diesem Morgen nach dem bisherigen “Programm” ja auch gar nichts anderes erwarten koennen. Also Eigentuemer von Kita Inn* – Nikita – anrufen. Er teilt mir mit, dass mich gleich jemand abholen wird. Gut – ich warte leicht genervt.
Nach wenigen Minuten taucht Sergeij, etwa 25 Jahre alt, auf. Er kommt nicht vom Eingang sondern von oben. Spannend. Er deutet mir, ich solle mit ihm mitkommen. Ich denke, wir gehen in einen Nachbareingang, dabei waren wir knapp 10 Minuten durchs Viertel unterwegs. Gottseidank habe ich einen guten Orientierungssinn und mir so gut den Weg gemerkt.
Das Haus sieht von aussen im Wesentlichen gleich aus, wie jenes von vorhin. Auch das Eingangssystem mit Magnetschluessel an Stelle eines Codes; auch das Treppenhaus – gleiche Wandfarbe, gleich “gepflegt”. Im 2. Stock eine massive Tuer: Wir sind da. Sergeij macht mich mit der Wohnung vertraut: Es gibt 3 Zimmer, eines gehoert mir, sowie Bad und Kueche. Gerade ist niemand anders da. Bin ich allein oder sind die anderen nur “ausgeflogen”? Egal. Ich werfe den Rucksack auf die Ledercouch in meinem Zimmer, die durchgeschwitzte Kleidung auf die Heizung und meine Wenigkeit unter die Dusche. Auf der Toilette bemerke ich, dass etwa 20 Wohnungen aus dem gegenueberliegenden Block direkt aufs Klo und in die Dusche sehen. Spannend, aber andererseits auch grad voellig wurscht. Die Dusche geht vor, ein Hochgenuss!
Das Schlafdefizit wird mit einem ausfuehrlichen Schlaefchen wieder aufgefuellt. Der Naehrstoff- und Trinkwasserbedarf muss noch gestillt werden, mit dem Essen bin ich heute etwas aus dem Takt gekommen. Im “Cafe Paris” ums Eck ist das moeglich, auch Kaffee aus der Espressomaschine – Cappuccino mit Milchschaum und Zimt (baeh) – gab es; entgegen der Behauptungen im Reisefuehrer, dass es nirgends ordentlichen Kaffee gibt.
Frisch gestaerkt beschliesse ich, die Umgebung etwas genauer zu erkunden. Anscheinend wohne ich direkt ums Eck einer Einkaufsstrasse. Der Spaziergang auf der Twerskaja Uliza und Seitenstrassen wird fuer mich als erster Kontakt zu Moskau gleich zum Erlebnis. Hier sind auch alle Marken vertreten, alles was “Rang und Namen” hat. Gleichzeitig kann ich wunderbar die kyrillische Sprache trainieren. Ich bin ganz begeistert, dass ich mit ein bisschen Training im Zug so gut wie alles lesen kann und wie lustig manche Unternehmen in kyrillischer Schrift aussehen, wie zB. Raiffeisen oder McDonalds.
Die Zeitverschiebung macht mir doch ein bisschen zu schaffen, das Hungergefuehl hat ich noch nicht umgestellt. Restaurants und Bars gibt es in der Gegend viele – ueberraschenderweise sind die Preise auf den Speisekarten am Eingang auch nicht so hoch, wie urspruenglich erwartet und im Reisefuehrer beschrieben. Alle Nationalitaeten sind vertreten, sehr viel asiatische Lokale gibt es.
Bereits zweimal gehe ich bei einem Bayerischen Lokal vorbei. Die Bedienung im Dirndl. Einerseits bin ich neugierig, wie das Lokal so organisiert ist und wie russisch-deutsche Kost so schmeckt, andererseits, finde ich es bloed dort hinein zu gehen. Doch typisch russisches laesst sich auch nicht finden. Also ‘rein in den “Klischee-Schuppen” und Spass haben. Das Personal spricht kein Wort Deutsch und auch kein Wort Englisch. Grosse, russische Augen schauen mich aus dem Dirndl an. Ein Laecheln, dann verstaendigt man sich mit “Haenden und Fuessen”. Die Speisekarte ist zweisprachig in Russisch und Englisch. Eine wirklich grosse Auswahl an Speisen wird angeboten – quer durch den deutsch/oesterreichischen Gemuesegarten. Auch Brezn mit Senf kann man bestellen – keine Ahnung fuer was man zur Breze den Senf braucht. Ich bestelle den Backhendlsalat und ein Franziskaner Weissbier – Dunkel. Nach so einem Tag habe ich mir das redlich verdient.
Ich bin am “Heimweg” noch immer ganz begeistert, wie schnell man die kyrillischen Schriftzeichen lernen kann. Ich lese zwar wie ein Volksschueler und bin fasziniert, was man so zu verstehen beginnt – auch wenn’s Russisch ist. So muss sich vielleicht ein Analphabet fuehlen, wenn er lesen lernt. Ohne das Schrift-Know How waere ich in Moskau aufgeschmissen. Hier ist sonst so gut wie nichts in lateinischer Schrift angeschrieben. Man versteht keine Strassennamen, keine Metro-Beschriftungen – gar nichts.
In der Wohnung angekommen, lerne ich Justin aus den USA und Jean-Philippe aus der Schweiz kennen. Beide wohnen auch im Kita-Inn und sind sozusagen meine WG-Kollegen. Etwas Studentenheim-Feeling kommt auf, obwohl wir alle um die 30 sind und keine 20 mehr wie damals… Justin und ich beschlossen sofort, noch auf ein Bier zu gehen. Wir verstehen uns von Beginn an sehr gut und haben beide viel zu erzaehlen. Justin ist aus Oklahoma City und fuer seine Baufirma auf einer Messe in Moskau. Jean-Philippe sehe ich zu diesem Zeitpunkt das letzte Mal. Er verschanzt sich in seinem Zimmer und hat “a lot of work”.
Justin und ich haben hingegen “a lot of fun” in einer American Bar, die schraeg gegenueber des Bayerischen Wirtshauses ist. Auch Justin hat dort den gleichen “Flash”, wie ich zuvor im Restaurant. Wir entscheiden uns fuer Russisches Bier – der Name ist irgendetwas “Sibirisk…”, ich glaube, das wird mir noch ein paar Mal unterkommen.
Gegen Mitternacht in Oesterreich und 2 Uhr Frueh in Moskau machen wir uns etwas widerwillig auf den Heimweg. Doch morgen ist ja auch wieder ein spannender Tag. Sightseeing ist angesagt!
Weiterlesen im Live-Reisetagebuch Transsibirische Eisenbahn:
- Nächster Reisetagebuch-Eintrag: Transsib (4): Moskau
- zur Übersicht dieser Reise: Transsib Tagebuch
- zur Übersicht mit vielen Reisetipps: Auf Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn
Sam says
So, hab mir eine kryllisch-lern-applikation auf das iPhone geladen, damit ich zwischendurch mal etwas üben kann. neben chinesischen zeichen, die auch nicht ganz ohne sind.