Die Transsibirische Eisenbahn – was für ein Abenteuer! Drei Tage reise ich bereits mit dem “Rossija-Express” von Moskau nach Irkutsk am Baikalsee. Dieser mehrteilige Transsib-Reisebericht stammt von 2009, ich habe ihn unterwegs in Internet-Cafés geschrieben. Die Begegnungen und viele Reiseabenteuer sind weitgehend zeitlos. Aktuelle Reisetipps für die Transsibirische Eisenbahn Reiseplanung findest Du auch hier im Reiseblog. Schau bitte auf die Beitrags-Übersicht für die Transsibirische Eisenbahn.
Montag, 2. Februar 2009
05:05 Ortszeit (22:05 in Oesterreich): Mein Wecker klingelt – ich sitze wach daneben und mache ihn aus. Wir kommen im Bahnhof Angarsk an. Fuer mich das Zeichen, mich fuer den Ausstieg in Irkutsk fertig zu machen. Waschen, fertig packen und auf Irkusk warten. Was wird mich dort erwarten? Ich habe ueber das Internet nach einer Moeglichkeit gesucht, etwas mehr ueber Land und Leute zu erfahren. Bed & Breakfast bzw. Privatzimmer-Vermieter schienen hier der optimale Weg zu sein. Feodor teilte mir per E-Mail mit, dass ich entweder in einer Wohnung fuer mich allein oder in einem Zimmer in einer WG wohnen koennte. Ich waehlte die zweitere Variante, immerhin moechte ich neue Leute kennen lernen. Per Mail vereinbarten wir, dass mich jemand am Bahnhof abholt.
Nun warte ich – die letzten Kilometer ziehen sich. Bei der Einfahrt in den Bahnhof stoppen wir ein paar Mal unsanft. Erstmals seit 7.500 km haben wir Verspaetung. Wir fahren um drei Minuten zu spaet am Bahnhof Irkutsk Passajirski ein – bei einer solchen Entfernung durchaus vertretbar. Ich bin gespannt: Wird um 06:03 jemand am Bahnhof auf mich warten? Am Bahnsteig kann ich niemanden entdecken. Ich gehe in die Wartehalle. Dort sehe ich schon jemanden mit meinem Namensschild stehen. “Wie im Film auf dem Flughafen”, denke ich und winke erfreut. Ich stelle mich in englischer Sprache vor doch es stellt sich schnell heraus, dass es Theodor und nicht Feodor ist, der mich hier abholt. Theodor stammt von der Deutschen Minderheit in Kasachstan ab und spricht perfekt Deutsch. Wie schoen, nach acht Tagen wieder mal Deutsch zu sprechen.
Theodor hat ein Taxi bestellt – ich nutze die Wartezeit, um vom Bankomat Geld zu holen. Ich bekomme alles 1.000 Rubel-Scheine – das kommt dem gleich, als haette man gar kein Geld. Erst mal wen finden, der so grosse Scheine annimmt.
Ich freue mich, dass ich um diese Uhrzeit – quasi “mitten in der Nacht” abgeholt werde. Das ist keine Selbstverstaendlichkeit. Theodor hilft mir beim Tragen der Sachen zum Taxi. Es ist eines der vielen Privat-Taxis hier. Ich denke eine Fortbewegungsmittel, das man als Einheimischer und nicht als Tourist nutzt. Ich verstaue mein Gepaeck im Kofferraum und wundere mich, warum am Beifahrersitz jemand beim Fenster heraus sieht. Dann, als Theodor an der Fahrerseite einsteigt faellt mir ein, dass hier viele importierte Gebrauchtwaegen aus Japan im Einsatz sind. Und in Japan faehrt man auf der linken Strassenseite. Wir fahren durch das noch naechtliche Irkutsk in den Microrayon Pervomaisky, einen Stadtteil von Irkutsk. Nach etwa 20 Minuten sind wir da und stehen vor einem 9-stoeckigen Wohnblock in einer groesseren Siedlung.
Wir fahren mit dem Lift in den 8. Stock. In Oesterreich waere es der 7. Stock, wir rechnen auch das Erdgeschoss mit. Nach dem oeffnen der – in Russland obligatorischen – vielen Schloesser und Wonungstueren stehen wir in einer liebevoll eingerichteten Wohnung. Fuer mich ist bereits ein Zimmer hergerichtet. In den naechsten Tagen werde ich zwischen sibirischen Baeren bestimmt gut schlafen. Weisse und braune Baeren sind auf einer lustigen Baeren-Bettwaesche zu sehen. Auch am Schrank wachen grosse und kleine Baeren ueber den guten Schlaf.
Dann lerne ich auch Feodor kennen. Mit ihm hatte ich alles im Vorfeld per Internet organisiert. Schoen, dass alles so gut geklappt hat. Mit einem ausgedehnten Kaffee-Plausch starten wir in den neuen Tag. Gegen 8 Uhr wird es erst langsam hell. Erst jetzt sehe ich, dass man von hier oben einen schoenen Ueberblick ueber die Umgebung hat. Von meinem Fenster sehe ich auf eine Siedlung mit Datschen. Dort wohnt nur jemand im Sommer – jetzt ist alles “winterfest” gemacht.
Sieht gemuetlich aus, denke ich mir. Die Haeuschen sehen fuer mich durchaus auch zum laenger darin Wohnen gross genug aus. Und Garten hat man auch einen schoenen dabei…
Gegen 9 Uhr holen wir doch noch ein paar Stunden Schlaf auf. Auch Theodor hat einiges an Schlafzeit bei der naechtlichen Bahnhofstour verloren. Ist es herrlich, endlich einmal nicht waehrend des Schlafens durchgeruettelt zu werden! Gegen 12 Uhr fuehle ich mich ausgeschlafen doch die Nase beginnt leider zu rinnen. Theodor verwoehnt mich gleich mit einer leckeren Pelmeni-Suppe. Pelmeni sind ein Nationalgericht in Sibirien und mit den italienischen Tortellini zu vergleichen. Heutzutage kauft man sie fertiger aus der Tiefkuehltruhe, frueher wurden sie von Hand gemacht und dann fuer den Winter im Schnee eingefroren.
Ich frage mich durch und finde den internationalen Bahnschalter im ersten Stock des Bahnhofs. Dort warte ich mit Hoeflichkeitsabstand, dass ich drankomme. Doch Hoeflichkeitsabstaende sind hier unbekannt. Stattdessen stellen sich einfach zwei andere Personen vor mir in die Reihe. Sie denken, dass ich scheinbar “nur so” herumstehe. Also auch aufruecken, damit ja keiner mehr Platz zum Reinschummeln hat! Der Ticketkauf laeuft reibungslos, ich fahre am Samstag, 7. Februar, um 5:13 mit Zug 4 “Moskau-Peking-Express” weiter in die Mongolei nach Ulaanbaatar. Wieder eine Transsib Reiseführer Ente, denn dort ist man der Meinung, dass ohne Russisch-Kenntnisse der Fahrkartenkauf so gut wie unmoeglich ist. Aber vielleicht ist ja mein Russisch schon so gut ;-)
Ich mache einen Spaziergang zur ersten Orientierung. Der Wind weht mir auf der alten Angara-Bruecke eisig ins Gesicht. Perfekt, wenn man ohnedies schon eine laufende Nase hat. Physik: Was passiert mit Fluessigkeiten bei Minustemperaturen? Richtig: Sie gefrieren an der Nasenspitze *aua*.
Ich gehe durch die Strassen und waerme mich dann im “Cafe Wien” bei einer Melange – gebraut aus Meinl Kaffee – auf. Ausserdem kann ich so ein erstes Lebenszeichen per SMS aus Irkutsk schicken. Es wird schon Abend hier, somit sind in Oesterreich auch wirklich alle mit dem Fruehstueck fertig. Ich setze meine Erkundungstour fort, doch wird es von Minute zu Minute kaelter. Der Abend bricht herein. Ich entscheide daher, wieder zurueck zu fahren. Ich habe mich an Temperaturen um die -20 Grad einfach noch nicht gewoehnt.
Ich suche den Marschrutka-Abfahrtspunkt im Stadtzentrum auf. Dort herrscht Hochbetrieb. Alle moeglichen Nummern kommen, endlich auch die 49. Fuenf Leute laufen zum Minibus, ein Sitzplatz ist frei. Oje…das kann ja dauern. Etwa alle fuenf Minuten wiederholt sich das Spektakel. Ich ueberlege, was ich machen sollte: Entweder ich schupfe die Damen im Pelzmantel zur Seite und draenge mich ins Auto oder ich muss mir eine Alternative ueberlegen. Damenschupfen ist einfach nicht meine Art, so faellt mir gottseidank Feodors Zettel mit den Buslinien ein. Siehe da – es gibt Alternativen von meinem Standort aus! Gesagt, getan und ich steige schon in den naechsten Bus hinten ein.
Nein, ich fahre nicht schwarz. Aber das ist in Irkutsk so ueblich. Im Bus und O-Bus hinten ohne zahlen einsteigen. Beim Aussteigen dann brav beim Fahrer zehn Rubel abgeben und vorne aussteigen. So laueft das hier. Schon habe ich das naechste Problem: Die Scheiben sind vollkommen zugefroren – man sieht nicht mal im geringsten, wo man ist. Ich verlasse mich auf mein Gefuehl und steige nur zwei Haltestellen zu frueh aus. Aber immerhin nicht weit von zu Hause weg.
Noch schnell Bierchen beim Kiosk einkaufen, damit ich nicht mit leeren Haenden da stehe. “4 Baltika bitte.” Achso, ich dachte ich bekomme grosse Liter-Flaschen, wie in der Auslage. “Dann bitte nochmal 4. Ja, vier, ich spreche doch nicht undeutlich, oder?” Zu Hause sehe ich mir die Flaschen an – der Inhalt kommt mir sehr dunkel vor. Ich werde aufgeklaert: Die unterschiedlichen Sorten dieser Marke werden mit Nummern von 0 bis 12 unterschieden. 3 ist helles Bier, 4 dunkles. Oje… wieder mal ein sprachliches Missverstaendnis; 4 Stueck von Nummer 4 hat die Dame im Kiosk verstanden.
Feodor kocht fuer alle Abendessen. Vladimir kommt zu Besuch und isst mit uns: Faschierte Laibchen, Reis, Bohnen und Paprika. Dazu gibt’s dunkles Bier. Es werden Plaene fuer die naechsten Tage geschmiedet, meine Registrierung vorbereitet und ueber dies und das geplaudert. Wir verstehen uns alle in Deutsch, Englisch und Russisch.
Hier ein Bild, vom letzten Abend, wo wir alle vereint sind – von links: Feodor, Vladimir, ich und Theodor.
Dienstag, 3.2.2009
Gegen 11 Uhr wache ich auf. Gar nicht so schlecht, schoen langsam klappt es mit der Gewoehnung an die 7 Stunden Zeitunterschied ja doch. Ich entscheide mich mit meinem Programm heute leiser zu treten, denn mit meiner Verkuehlung fuehle ich mich nicht wohl. Ausserdem stehen noch einige organisatorische Dinge an.
Nach einem Mittagstopf Pelmeni gehen Theodor und ich fuer die Registrierung zur Post. Ein aufwaendiges Unterfangen, das bei einem Aufenthalt von mehr als 3 Tagen an einem Platz in Russland sein muss. Zwei ausgefuellte Formulare sowie Kopien von Visum und Pass haben wir bereits mitgebracht. Eine Kopie der Imigration-Card liessen wir im benachbarten Spielzeuggeschaeft machen. Am Schalter erhielten wir ein Kuvert, zwei weitere Formulare und einen Zettel mit einer Adresse, die auf den Brief geschrieben gehoert. Theodor fuellt alles brav aus – wir stehen wieder am Schlater. Von Diskretionsabstand merkt man hier keine Spur. Neugierige Personen kleben am Schalter neben uns und sind mit ihren Augen ueberall. Geschafft – Kuvert verklebt, Gebuehr bezahlt, ich bin offiziell registriert.
Dann weiter in die Apotheke – Supradyn als “Vitaminbomben” kaufen. Alles verfuegbar, die Aufschrift ist in Russisch und Englisch.
Im Supermarkt besorgen wir noch ein paar gute Sachen fuer den Abend. Im Wesentlichen sehen die Supermaerkte gleich aus, wie bei uns. Es gibt die unterschiedlichen Abteilungen und eigentlich alles zu kaufen, was das Herz begehrt. Alles ist sehr sauber, an der Kasse kann auch mit Bankomat- oder Kreditkarte bezahlt werden. Ich schaue natuerlich interessiert umher und mir fallen vor allem die mit sehr guten Sachen sehr gut gefuellte Feinkost-Theke und die volle Tiefkuehltruhe mit Unmengen an gefrorenen Pelmeni auf.
Theodor meint, meine Jacke ist fuer Sibirien und die Mongolei zu duenn – vor allem die Kapuze fehlt. Doch beim kleinen Chinesenmarkt ums Eck finden wir nichts passendes. Wir werden morgen dann im Stadtzentrum suchen. Derzeit hat es etwa -15 Grad – tagsueber fuehlt sich das aber nicht so kalt an.
Den restlichen Nachmittag und Abend verbringe ich mit dem Schreiben meines Berichts im Internet. Ich darf auf Feodors Computer meine Texte und Fotos hochladen. Erst macht mir die Verbindung Probleme und viel Arbeit verschwindet im Nirvana, dann funktioniert alles bestens – ADSL sei Dank! Und noch eine gute Nachricht: Meine Verkuehlung scheint sich zu beruhigen!
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